Die ehrenwerten Diebe
die Amerikanerin«, fragte mich Präsident Molitor und betrachtete Sandra.
»Von New York her«, erwiderte ich. »Wir sind gemeinsam aus einer langweiligen Cocktail-Party ausgebrochen und eine Stunde lang durch New York gebummelt.« Ich lächelte. »Noch dazu im Regen.«
»Dann beneide ich Sie«, entgegnete er.
»Leider ziemlich ohne Grund«, antwortete ich lachend. »Wir hatten keinen Schirm.«
Sandra Kelly war die Tochter eines amerikanischen Vaters und einer italienischen Mutter. Sie galt als Top-Journalistin und pendelte ständig zwischen New York und Rom. Die Welt war ihre Heimat, der Erfolg ihr Handwerkszeug, ein Wall von Verehrern ihre Kulisse.
Die kleine Runde verließ den Presseball, um noch ein paar strittige Punkte zu diskutieren – schließlich sind Konferenzen nun einmal der Sieg der Gesäße über die Köpfe. Und wenn es ums Geld geht, um viel Geld für neue Sicherheits-Einrichtungen, entwickelt sich leicht mehr Sitzfleisch als Denksport. Schließlich zitierte ich den Chef einer erstklassigen Frankfurter Werkschutz-Gesellschaft, der gesagt hatte: ›90 Prozent der deutschen Werkschützer sind Obernachtwächter und gar nicht in der Lage, das geistige Eigentum der Firmen zu schützen.‹
Eine Stunde nach Mitternacht waren wir uns einig; endlich hatte ich Feierabend, aber mir war nicht mehr danach zumute. Ich überlegte, ob ich noch einmal in den Ballsaal zurückkehren sollte, aber ich entschloß mich, wenn auch ohne Überzeugung, in das Hotel Königshof amRhein zurückzukehren.
Ich haderte auf dem ganzen Weg, daß ich der rassigen Sandra nicht einmal guten Abend gesagt und eine der Verabredungen mit ihr getroffen hatte, die hinterher ohnedies ins Wasser fielen, weil die Journalistin an der gleichen Krankheit litt wie ich: Zeitmangel. Ich nahm meinen Zimmerschlüssel in Empfang. Ausnahmsweise lag einmal keine Nachricht für mich da; der Portier ging voraus und öffnete mir die Lifttür. Ich winkte ab. Ein bißchen Bewegung konnte nicht schaden. Ich nahm zwei, drei Treppenstufen auf einmal.
Mit diesen langen Sätzen hetzte ich direkt in meinen nächsten Fall, bei dem es diesmal um viel mehr als um Millionen gehen sollte.
Ich stand vor dem Eingang meines Apartments, schloß die Tür auf. Noch bevor ich das Licht anknipste, erschnupperte ich einen fremden Geruch. Es war ein verwirrender, wild-zärtlicher Duft.
Es roch nach Sandra.
Ich knipste das Licht an und erlebte eine erstklassige Überraschung: Die Italo-Amerikanerin räkelte sich schläfrig auf meiner Couch, schälte sich aus der Decke: »Entschuldige, Mike«, sagte sie. »Ein Glück, daß du so ein solider Typ bist und so früh zu Bett …«
Leider konnte ich mir vorstellen, daß sich Sandra nicht zu einem nächtlichen tête-à-tête in mein Apartment geschlichen hatte, aber in diesem Moment betrachtete ich sie wohl mehr mit den Augen eines Mannes als eines Fachmannes für die Abwehr von subversiven Angriffen.
»Du wagst dich in meine Höhle?«
»Nicht brüllen, Löwe!« bat Sandra.
»Löwen sind Raubtiere«, antwortete ich.
»Nicht fressen«, konterte sie und warf die Schläfrigkeit ab. Sie zündete sich eine Zigarette an. »Ich muß mit dir reden, ohne daß uns einer zusammen sieht.«
Sandra stand auf und zeigte dabei Beine, die man einfach ansehen mußte: »Ich geh' jetzt ins Bad, um deinen Ruf nicht zu schädigen«, sagte sie lachend. »Inzwischen bestellst du eine Flasche Whisky.« Sie küßte mich flüchtig und erwischte dabei eine untaugliche Stelle. »Wir haben eine lange Nacht vor uns.«
Ich läutete dem Etagenkellner und sah dabei Sandra nach. Sie lebte nicht ganz ungefährlich. Ich wußte, daß sie bedenkenlos berufliche Abenteuer auf sich nahm – ich übrigens auch. Wo sie auftauchte, war Feuer unterm Dach, und so löschten wir den Brand zunächst mit Whisky on the Rocks.
»Du kennst Lucius S. Letters sen. den US-Adressen-König?« fragte mich Sandra.
»Dem Namen nach.«
»Ich bin mit seinem Sohn befreundet«, erwiderte sie.
»Gratuliere.«
»Ein Flirt«, versetzte sie ein wenig ärgerlich. »Aber darum geht es gar nicht. Mr. Letters sen. ist vorgestern spurlos aus seinem Düsseldorfer Hotel verschwunden.«
»Abwege?« fragte ich.
»Kidnapping«, versetzte Sandra. »Die Entführer haben sich bereits gemeldet. Ich wurde von der Firma beauftragt, auf jede Forderung einzugehen.«
»Geld?«
»Nein, Adressen«, antwortete Sandra. »Informationen.«
Es waren also keine gewöhnlichen Gangster, und der Fall Letters
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