Die ehrenwerten Diebe
Passanten treiben, blieb ab und zu vor einem Schaufenster stehen – teils interessierte sie sich für die Bazare der Versuchung, teils für Gesichter, die zweimal in ihrer Nähe auftauchten. Sie spielte ihre Rolle ausgezeichnet, wirkte wie ein internationaler Gast beim Shopping-Bummel in Deutschlands bekanntester Einkaufsstraße.
Die Düsseldorfer Niederlassung der Firma Letters & Son, Ltd. lag gleich um die Ecke. Kurz vor zwölf Uhr betrat die Italo-Amerikanerin die Geschäftsräume, und damit wurde der Tag heiß. Zunächst einmal hatten die Erpresser die Anschriften von 50.000 deutschen Tonband-Amateuren gefordert. Da die Adressen durch Stichproben sofort überprüft werden konnten, blieb gar nichts anderes übrig, als ihnen echtes Material zu überlassen. Mit einer winzigen Ergänzung, die ich veranlasst hatte: Einige Namen, die in letzter Zeit aus der Kartei gestrichen worden waren – wegen Todesfall oder Umzug – wurden unter die 50.000 echten Anschriften als ›Security Check‹ geschmuggelt. Wann und wo das Material auch immer auftauchte – ich konnte dann sichergehen, daß es sich um das erpresste handelte.
Eine Stunde später verließ Sandra die Firma Letters, um, begleitet vom Geschäftsführer, in einem benachbarten Restaurant das Mittagsmahl einzunehmen: Das Essen war vorzüglich, das Gespräch eintönig. Der Begleiter bot Sandra an, sie in seinem Wagen in ihr Hotel zurückzufahren, aber sie wollte zu Fuß gehen.
Das Spiel auf Leben und Tod hatte begonnen.
Sandra trug eine kleine Handtasche, eng an sich gepresst: Die ersten Informationen, die dem alten Letters das Leben retten und ihn die Firma kosten sollten, waren auf eine einzige Computer-Spule programmiert, nicht größer als ein kleines Tonband. Dieser Umstand machte für die Kidnapper das Verbrechen beinahe risikolos.
Normalerweise ist für Entführer die Übergabe des erpressten Geldes der gefährlichste Punkt: Banknoten sind nummeriert; sie lassen sich notieren und präparieren. Um nicht aufzufallen, verlangen Kidnapper kleine Scheine, und diese addieren sich zu einem großen und umständlichen Paket.
Diese Schwierigkeiten entfielen bei unseren Gegenspielern. Geduld war meine einzige Waffe, die einen verdammt langen Abzug hatte: Ich mußte warten, bis die Informationen in falschen Händen wieder auftauchten.
Sandra nahm in der Hotelbar noch einen Kaffee. Dann ging sie in ihr Apartment, um sich umzuziehen. Sie telefonierte mit einem Reisebüro wegen einer Flugverbindung nach Rom, dann meldete sie sich beim Coiffeur an.
Gegen 15 Uhr verließ sie ihr Hotel, die nächsten zwei Stunden saß sie bei einem bekannten Figaro, gleich nebenan. Anschließend suchte sie zur Erholung ein Straßen-Cafe auf.
Sie war hellwach, als sie ein junger verwildert aussehender Bursche ansprach. Aber sie bemerkte rasch, daß er ganz andere Wünsche hatte als die 50.000 Anschriften als Vorschuss auf eine Dauererpressung.
Ich war inzwischen längst aus Bonn abgereist. Meine Verbindung zu Sandra war umständlich, aber idiotensicher: Sie informierte von Fernsprechzellen aus meinen Freund und Anwalt Dr. Heinz Brettner in München, dem ich auf dem gleichen Weg regelmäßig antwortete.
Am Abend machte sich Sandra fertig zu einem Besuch im Schauspielhaus. Inzwischen hatte ich beim Versandhaus Lerche – einem der größten in Deutschland – meine ersten Gegenminen gelegt.
Es war zu erwarten, daß die Entführer, um rasch zu Geld zu kommen, die erpressten Adressen global weiterverkaufen würden. Dafür boten sich beinahe automatisch Versandhäuser an, die Elektro-Artikel aller Art führten. Die meisten Firmen kannten mich, für einige hatte ich bereits gearbeitet, und so konnte ich es wagen, sie vor dem Adressen-Erwerb zu warnen und sie zu bitten, mich sofort zu verständigen, falls ihnen ein solches Angebot gemacht würde.
Noch immer nichts Neues von Sandra! Sie rauchte eine Zigarette in der Hotelhalle. Dann ging sie vor das Portal, um sich die Beine zu vertreten.
Am Straßenrand fuhr langsam ein Taxi vor.
Sie winkte. Der Fahrer hielt sofort.
»Zum Schauspielhaus«, sagte Sandra.
Der Mann fuhr langsam los.
»Haben Sie das Zeugs bei sich?« fragte überraschend der Mann am Steuer.
Es war ein Verbrecher und kein Taxifahrer – einige Zeit später sollten wir erfahren, daß der alte Letters auf die gleiche genial-schlichte Tour entführt worden war.
»Wie verabredet«, entgegnete Sandra. »Wenn Sie Ihr Versprechen halten, dann …«
»Quatschen Sie
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