Die Eifelgraefin
große Ratten unter den Kisten hervor und huschten zwischen den Männern hindurch über das Deck.
«Die Biester haben fast unsere ganze Ladung angenagt», erklärte Kapitän Brig ärgerlich und kratzte sich am Handrücken. «Wir haben versucht, sie einzufangen und über Bord zu werfen, aber natürlich kommen in jedem Hafen neue dazu. War schon lange nicht mehr so schlimm mit den Ratten wie dieses Jahr!»
Martin ließ das Tuch zu Boden fallen und drehte sich zu dem Kapitän um. Auf seiner Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet. «Ich lasse ein paar Männer kommen, die die Kisten abladen werden. Wahrscheinlich ist der größte Teil der Waren verdorben. Was ist mit dem Wein, den Ihr mitbringen solltet? Ist der wenigstens in Ordnung?»
Kapitän Brig nickte eifrig, froh, zumindest eine gute Nachricht zu haben. «Jawohl, siebzehn Fässer italienischer und zwanzig Fässer französischer Wein, wie Ihr gesagt habt, und alle noch ganz. War aber nicht einfach, sie zu bekommen. Vor allem in Italien liegen viele Weingüter brach, weil die Besitzer allesamt an dieser furchtbaren Pestilenz gestorben sind, und die Arbeiter und Bauern mit ihnen. Auch in Frankreich grassiert das große Sterben. Die Leute behaupten, diese Pestilenz fliege durch die Luft wie der Leibhaftige selbst.» Brig schlug sich mit der flachen Hand auf den Arm und schnippte einen zerquetschten Floh zu Boden. «Wir können nur beten, dass sie die deutschen Gebiete verschont.»
Martin nickte zustimmend. «Vielen Dank, dass Ihr Euchwie immer um alles gekümmert habt. Die Sache mit den Gewürzen besprechen wir ein andermal. Ich muss erst überprüfen, wie viel davon noch zu retten ist.»
«Wie Ihr wünscht, Herr Wied.» Brig nickte Martin noch einmal zu und wandte sich dann einem anderen Kaufmann zu, der ebenfalls Teilhaber des Schiffes war und dem er schonend beibringen musste, dass die Ratten auch die mitgebrachten Stoffe und Tuche beschädigt hatten.
Martin ging heim, zurück in seine Geschäftsräume, die zusammen mit den Lagerräumen die gesamte untere Hälfte seines Hauses einnahmen. Von dort aus schickte er seinen treuen Knecht Alban mit zwei Lehrbuben an den Hafen und machte sich dann daran, eine Liste vorzubereiten, in die er die Verluste eintragen würde. Gleichzeitig überschlug er in Gedanken, wie lange seine eingelagerten Waren noch reichen würden. Die verlorene Schiffsladung war höchst ärgerlich, aber er konnte sie verschmerzen, obwohl er wenige Tage zuvor schon eine Fracht über den Landweg verloren hatte, die aus Lyon gekommen war und deren Begleitschutz sich dort mit dieser Pestilenz angesteckt hatte. Acht der zwölf Soldaten waren ihr zum Opfer gefallen, der Rest hatte sich nicht gegen einen Überfall von Wegelagerern zur Wehr setzen können. Würden noch weitere Transporte von der Pestilenz heimgesucht – und nach dem, was Kapitän Brig erzählt hatte, stand das wohl zu befürchten –, dann musste er sich ernsthaft Gedanken machen, wie er seine Kunden anderweitig versorgen konnte.
***
Fröstelnd stand Elisabeth zwischen den anderen Burgbewohnern und einigen früh eingetroffenen Gästen in der Kempenicher Kirche und lauschte Vater Ambrosius, der ausnahmsweise einmal nüchtern war und die Karfreitagsandacht abhielt. Die Stimmung im Gotteshaus war gedrückt. Vor allem, weil sich vor der Kirche und auf dem kleinen Marktplatz mehrere zerlumpte Franziskanermönche herumtrieben, die den Menschen, die sich am Nachmittag zu Christi Todesstunde hier eingefunden hatten, lautstark das Ende der Welt verkündeten. Stimmgewaltig hatten sie Bilder von einer schrecklichen Pestilenz heraufbeschworen, die die Christenheit heimsuchen werde, um die Sünden der Menschen zu strafen.
Elisabeth rieb sich die Arme. In der Kirche war es trotz der vielen Menschen, die sich hier aneinanderdrängten, eisig kalt. Das Wetter war – wie so oft im April – noch einmal umgeschlagen und hatte Frost und Eisregen gebracht. Sie versuchte sich abzulenken, indem sie den lateinischen Worten des Priesters lauschte, doch ihre Gedanken wanderten immer wieder hinaus zu den zahllosen Toten, die jene Pestilenz in Italien und Frankreich bereits gefordert hatte. Auch an Kunibert dachte sie und wurde von Wehmut erfasst. Nicht, weil sie ihn vermisste – sie hätte sich selbst belogen, würde sie das behaupten –, sondern weil ihr die Zeit, da sie mit ihm verlobt gewesen war, im Nachhinein einfach und sorglos erschien. Wie viel hatte sich seither ereignet – und wie sehr
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