Die Eifelgraefin
auf direktem Wege zur Mantenburg aufzumachen. Er hatte überhaupt nicht nachgedacht, dafür hätte er sich selbst ohrfeigen mögen. Die meiste Zeit des Tages verbrachte er – bewusst oder unbewusst – damit, über Elisabeth nachzudenken, doch sobald er sich in ihrer Gegenwart befand, setzte sein verdammter Verstand aus.
Aufmerksam blickte er sich im Dorf um. In einigen Häusern und Hütten regte sich mittlerweile Leben. Hühner rannten gackernd über die Straße, Frauen und Männer gingen ihrer Arbeit nach – irgendwo plärrte ein Säugling. Er wurde neugierig, aber auch ein wenig argwöhnisch angestarrt, als er den Hauptweg hinunter in Richtung der kleinen Kirche ritt. Gerade wollte er einen der Bauern nach Luzia fragen, als er seitlich bei dem Gotteshaus eine Bewegung wahrnahm. Luzia kam um die Ecke der Kirchhofsmauer, in Begleitung des Pfarrers und eines höchstens zwölfjährigen Jungen, der ihr mit seinen rotblonden Locken, der Stupsnase und den Sommersprossen auffallend ähnlich sah.
Als sie den Ritter auf sich zukommen sah, blieb Luzia überrascht stehen. «Herr Johann! Was …?» Sie verstummte, als sie seinen finsteren Blick bemerkte, und legte ihrem Bruder schützend einen Arm um die mageren Schultern.
Johann trieb den Falben auf sie zu und schaute streng auf sie herab. «Mädchen, du bist ohne die Erlaubnis deiner Herrin von der Burg fortgelaufen. Elisabeth von Küneburg besteht darauf, dass du sofort zurückkehrst.» Er streckte ihr die Hand hin. «Steig auf!»
«Nein.» Luzia wich einen Schritt zurück. «Herr Johann, verzeiht, aber ich kann nicht mit zurückkommen.» Sie zog Anton noch dichter zu sich heran. «Meine …» Sie schluckte hart. «Meine Eltern sind verstorben und auch meine Großmutter und meine Schwester. Wenn ich fortgehe, bleibt mein Bruder ganz alleine zurück.»
«Luzia, Kind», mischte sich nun Vater Anselm ein. «Tünn könnte sicher auch bei einem der Nachbarn unterkommen, bis sich eine Lösung findet. Auch ich wäre bereit, ihn aufzunehmen.»
«Nein.» Luzia schüttelte den Kopf. «Das ist gut gemeint, Vater Anselm, aber ich möchte es nicht. Ich will, dass mein Bruder bei mir bleibt.»
Johann blickte nachdenklich auf die Magd und den Jungen. In Tünns Augen sah er Schrecken und tiefe Erschöpfung, nicht nur körperliche. Er hatte Elisabeth versprochen, ihre Magd zurückzubringen. Und wenn man bedachte, wie viele Hütten in Blasweiler bereits leer standen und mit Brettern vernagelt worden waren, weil die Einwohner der Pest zum Opfer gefallen waren, konnte man davon ausgehen, dass sie auf der Burg noch wesentlich sicherer war als hier.
Doch Luzias Miene drückte eine stoische Entschlossenheit aus. Er würde sie nicht zwingen können, mit nach Kempenich zu kommen. Und was sollte mit dem Jungen geschehen?
Sein Pferd tänzelte, und er nahm die Zügel kürzer. «Ich habe den Auftrag, dich zur Burg zurückzubringen, mit oder ohne deinen Bruder», sagte er in harschem Ton. «Wenn du der Jungfer Elisabeth den Dienst aufsagen willst, so tu es selbst. Nun komm, denn ich will bis zum Mittag wieder dort sein.» Er wendete sein Pferd und ritt voran. Nach wenigen Schritten wandte er sich um. «Was ist? Bewegt euch!»
«Geh schon, Luzia.» Vater Anselm nickte ihr aufmunternd zu. «Du hast eine Verpflichtung gegenüber deiner Herrin. Und vielleicht ergibt sich ja für Tünn eine Lösung. Falls nicht, weißt du, dass du dich an mich wenden kannst.»
Luzia schaute ihren Bruder an, der alles stumm angehört hatte, sich jedoch nicht rührte und keinerlei Anzeichen einer Gefühlsregung zeigte. Sie sorgte sich sehr, denn mehr als ihren Namen, als sie das Pfarrhaus betreten hatte, war ihm bisher nicht über die Lippen gekommen. Natürlich musste sie zur Burg zurück. Aber Tünn würde sie keinesfalls alleine lassen, und wenn das bedeutete, dass sie die gute Stellung bei Elisabeth verlor. Schließlich rang sie sich zu einer Entscheidung durch. «Komm, Tünn. Wir gehen zusammen nach Kempenich.»
***
Elisabeth lief schon seit Stunden wie ein gefangenes Tier im großen Saal auf und ab. Weder Simon noch Bruder Georghatten sie beruhigen können, und noch weniger Hedwig, die wegen des kleinen Craft kaum ansprechbar war. Dem Jungen ging es von Stunde zu Stunde schlechter, was die Stimmung auf der gesamten Burg drückte.
Als sie durch eines der Fenster Johanns Pferd im Hof auftauchen sah, rannte sie mit fliegenden Röcken hinaus, blieb jedoch überrascht stehen und beobachtete, wie Johann,
Weitere Kostenlose Bücher