Die Eifelgraefin
nickte. «Es war im Jahre 1147, auf dem zweiten Kreuzzug ins Heilige Land. Der Ritter Eginolf folgte damals dem Aufruf des berühmten Zisterzienserbruders Bernhard von Clairvaux und schloss sich den Kreuzrittern an. Mit ihm reisten damals auch Männer des KempenicherBurgherrn Siegfried, mit dem Eginolf gut befreundet war. Siegfried selbst konnte nicht am Kreuzzug teilnehmen, heißt es, deshalb stattete er Eginolf mit seinen Männern aus. Unter ihnen war auch ein tapferer Bauernsohn mit Namen Jost.»
«Jost Bongert», fiel Luzia ihr ins Wort. «Das war mein Ahnvater.»
«Er kehrte im Jahr darauf mit Eginolf als einziger der Kempenicher Mannen aus Jerusalem zurück», fuhr Elisabeth fort. «Als Dank für seine treuen und tapferen Dienste schenkte Eginolf ihm ein Stück einer wertvollen Reliquie.» Sie sah Luzia aufmerksam an. «Dieses Kreuz, Luzia.»
«Woher wisst Ihr das alles?», fragte Luzia atemlos.
Elisabeth stand auf, wickelte sich in ihre Decke und ging zu einer der Kleidertruhen. Sie hob den Deckel und kramte ein in Tücher gewickeltes Kästchen daraus hervor. Vorsichtig trug sie es zum Bett zurück, setzte sich und öffnete es.
Zum Vorschein kam ein ovaler Silberrahmen, der mit kleinen roten und blauen Edelsteinen besetzt war. An vier Stellen standen kleine Stifte hervor, und an der Oberseite war eine Öse angebracht, durch die man eine Kette ziehen konnte.
Elisabeth hielt den Rahmen so ins Mondlicht, dass Luzia ihn besser sehen konnte. Wieder spürte sie diese merkwürdige Gänsehaut auf dem Rücken. «Weil dies der andere Teil der Reliquie ist», antwortete sie. «Eginolf von Küneburg war mein Ahnvater.»
Luzia sah Elisabeth mit großen Augen an. «Ist das …? Das kann nicht wahr sein, Herrin!» Plötzlich zuckte sie zusammenund ließ das Kruzifix fallen. «O Gott, es wird ganz heiß!»
Elisabeth streckte die Hand aus und berührte vorsichtig die Oberseite des Kreuzes. Auch sie spürte die Wärme, die davon auszugehen schien. Sehr vorsichtig nahm sie es in die Hand. «Wie merkwürdig», sagte sie und meinte eine Art Leuchten wahrzunehmen, doch vielleicht spiegelte sich auch nur das Mondlicht auf der silbernen Oberfläche des Kreuzes.
Behutsam führte sie beide Teile zusammen, bis die Stifte am Rahmen in die Ösen auf der Rückseite des Kreuzes glitten. Im selben Augenblick leuchtete ein greller Blitz auf. Erschrocken ließ sie das Kruzifix fallen.
Luzia stieß einen erstickten Laut aus. «Habt Ihr das gesehen, Herrin?»
Elisabeth blickte mit klopfendem Herzen auf das Kruzifix, das nun in ihrem Schoß lag. «Es … hat kurz geleuchtet, nicht wahr?», sagte sie schließlich, und ihre Stimme zitterte dabei. Sie holte tief Luft. «Das muss wahrlich eine mächtige Reliquie sein, Luzia. Und das Kreuz war zweihundert Jahre lang von seinem Rahmen getrennt. Offenbar war es uns bestimmt, die beiden Teile wieder zusammenzufügen.»
«Und was machen wir jetzt damit, Herrin?» Luzias Stimme war anzumerken, dass sie sich ein wenig fürchtete.
Elisabeth nahm das Kruzifix wieder in die Hand und legte es dann sorgsam in das kleine Holzkästchen zurück. «So, wie ich es sehe, gehört es nun uns beiden, Luzia. Du besitzt das Kreuz, ich den Rahmen. Mein Vater gab ihn mir vor meiner Abreise, damit ich darauf achtgebe. Ich bin sein ältestes Kind und soll den Rahmen verwahren, bis meinBruder alt genug ist, ihn zu bekommen. Doch so, wie die Dinge jetzt stehen, sollten wir die beiden Teile nicht wieder trennen. Was meinst du?»
«Ich weiß nicht genau, Herrin.» Luzia nagte an ihrem Daumennagel. «Das Kreuz ist schon so lange in unserer Familie und hat uns immer Glück gebracht. Das sagt wenigstens mein Vater.»
«Und deine Mutter hat es dir nicht umsonst mitgegeben», ergänzte Elisabeth. «Wir werden künftig gemeinsam darauf achtgeben.» Sie unterdrückte ein Gähnen. «Lass uns morgen früh weiter darüber sprechen, Luzia. Nun bin ich müde, und auch du solltest jetzt schlafen.»
6. KAPITEL
Am folgenden Morgen rief Elisabeth noch vor dem Frühstück Bruder Georg zu sich, um ihm das Kruzifix zu zeigen.
Der Mönch nahm das Kreuz vorsichtig aus dem Kästchen und betrachtete es von allen Seiten. «Das ist unglaublich», befand er schließlich. «Die beiden Teile passen haargenau zusammen. Das ist ein wunderschönes Schmuckstück.»
«Es ist mehr als das», erwiderte Elisabeth. «Es muss eine mächtige Reliquie sein, Bruder Georg. Spürt Ihr nicht, wie warm es sich anfühlt? Fast so, als sei es
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