Die Eifelgraefin
im sonnigen Burghof zu verbringen. Vielleicht traf sie auch Bruder Georg zu einem erbaulichen Gespräch. Sie liebte den brummigen Benediktiner, der sich schon seit ihrer Geburt um sie gekümmert hatte. Vermutlich hatte er sich zu einer Andacht in die Kapelle zurückgezogen. Oder er war nach Kempenich hinuntergewandert,um sich den Ort und die Kirche anzusehen. Das wäre allerdings schade, denn auf diesem Gang hätte sie ihn gerne begleitet.
Sie flocht ihr noch feuchtes Haar zu einem dicken Zopf, verzichtete jedoch darauf, ihn hochzustecken. Gut gelaunt nahm sie den kleinen Handarbeitskorb und stieg die Wendeltreppe hinab. Im ersten Obergeschoss sah sie Simon in einer Art Durchgangszimmer an einem großen Tisch sitzen und über einem Stoß Papiere brüten. Das Zimmer besaß mehrere Türen, von denen eine in einen zweiten Saal führte, der nicht ganz so groß war wie die Eingangshalle. Hinter einer weiteren Tür lag Hedwigs Kemenate, aus der gerade melodiös Gertruds und Herzelindes Stimmen erklangen. Offenbar gab die Burgherrin den Mädchen Gesangsunterricht.
Elisabeth ging weiter hinunter, durchquerte den großen Saal und wollte dann hinaus in den Burghof treten. Erschrocken prallte sie zurück, als Johann auf sie zugestürmt kam und sie beinahe über den Haufen rannte.
«Habt Ihr Simon gesehen?», fragte er sie ohne höfliches Zeremoniell. Seine Miene war finster, doch daran hatte sie sich beinahe schon gewöhnt.
«Oben im ersten Stock», sagte sie deshalb gelassen. «In der Steinkammer», fügte sie hinzu, als ihr der Name des Durchgangszimmers wieder einfiel.
Ohne ein weiteres Wort drängte sich Johann an ihr vorbei ins Haus und eilte die Stufen der Wendeltreppe hinauf.
Verärgert blickte sie ihm nach. Dieser Mann besaß wirklich nicht den Hauch von Manieren. Achselzuckend überquerte sie den Hof und setzte sich auf eine Steinbank in derNähe des Kräutergartens, die von den Zweigen einer schlanken Eiche beschattet wurde.
Obwohl es nun bereits auf Mitte September zuging, war es noch immer sommerlich warm. Sie beobachtete zwei Schmetterlinge, die einander über den blühenden Stauden von Johanniskraut und Wolfsblume umtanzten.
Elisabeth zog die Hülle für ein Kissen aus ihrem Korb, auf der sie am Vortag eine Stickerei begonnen hatte. Müßiggang, so hatte man ihr von klein auf beigebracht, tat nicht gut. Außerdem liebte sie Handarbeiten und hatte es im Sticken zu einiger Kunstfertigkeit gebracht. Nur ihre Mutter war ihr darin noch über.
Sie begutachtete die winzigen gelben und hellblauen Blüten, mit denen sie gestern begonnen hatte, und überlegte gerade, ob sie ihnen noch weitere hinzufügen oder lieber einen bunten Schmetterling dazusticken sollte, als sie das Knirschen von Stiefeln auf dem steinigen Burghof vernahm. Johann von Manten stapfte mit verbissener Miene zum Pferdestall, kam jedoch sofort wieder heraus, sah sich um und fluchte.
Dann machte er kehrt, doch bevor er im Stall verschwand, trat er mit solcher Heftigkeit gegen die Holzbank neben dem Eingang, dass sie umkippte.
Elisabeth erschrak ob dieses Wutausbruchs und ließ die Kissenhülle in den Schoß sinken. Was mochte den Ritter nur dermaßen aufgebracht haben? Sie spürte dieses lästige Gefühl der Neugier in sich aufsteigen, bekämpfte es jedoch mit Macht und zwang sich, erneut ihren Blick auf die Stickerei zu richten. Ein bunter Schmetterling würde ausgezeichnet zu ihrem Motiv passen, überlegte sie. Dann legtesie die Handarbeit zurück in den Korb, stand auf, strich ihr Kleid glatt und ging hinüber zum Pferdestall.
Der typische Geruch nach Pferdeurin und Stroh und das leise Schnauben eines der Tiere empfingen sie. Sie trat einige weitere Schritte hinein und versuchte, etwas in dem Dämmerlicht zu erkennen. Die Pferde, es waren acht an der Zahl, standen auf der rechten Seite seelenruhig nebeneinander, jedes von den anderen durch schulterhohe Holzwände getrennt. Auf der linken Seite führte eine Tür in einen kleinen Raum, wohl die Sattelkammer, und dahinter führte ein Gang zu weiteren Stellplätzen.
Elisabeth bog dort ein und blieb überrascht stehen. Nur wenige Schritte von ihr entfernt stand Johann neben einem der Pferde – einem großen falbfarbenen Hengst. Er wandte ihr den Rücken zu und hatte sich mit beiden Händen an der Stallwand abgestützt, den Kopf zwischen die Schultern gezogen. Mehr noch überraschte Elisabeth jedoch der Hengst, der seinem Herrn sanft den Kopf auf die rechte Schulter gelegt hatte.
Vorsichtig
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