Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
Vegetarier, und die zweifelnde Grimasse von Murat spiegelt meine eigenen geheimen Befürchtungen wider. »Wirst du nicht satt von«, sagt er. Ich rufe ihm »Zeit für was Neues!« zu, was weniger enthusiastisch klingt, als ich mir vorgenommen habe. Dann zahle ich und trage meine Einkaufstüte tapfer die Straße entlang und schließlich dort hinauf, wo die staubige Einsamkeit wohnt, in meine Dreizimmerwohnung im vierten Stockwerk, Altbau, saniert, in unaufgeräumter Schockstarre eingefroren seit meiner Abreise vor einer Woche, nie wieder aufgetaut nach meiner Rückkehr am Mittwoch.
Beim Betreten der Wohnung fällt mein Blick wie üblich als Erstes auf das Display des Anrufbeantworters, auf dem die Zahl fünf noch genauso hektisch blinkt wie vorgestern bei der Ankunft, fünf Nachrichten, die ich noch nicht abgehört habe, weil ich zu wissen glaubte, von wem sie sind und was sie mir sagen wollen. Jetzt überfällt mich plötzlich der Gedanke, dass Simon es eigentlich locker geschafft haben könnte, meine Festnetznummer noch am Mittwochvormittag herauszukriegen, während ich unterwegs nach Hause war, theoretisch könnten der letzte oder sogar zwei der fünf Anrufe von ihm sein. Die Hoffnung bäumt sich auf und will vom Sterbebett runter, und ich renne in die Küche, wo ich mit fahrigen Händen die Gemüsetüte auf dem Tisch auskippe und Teewasser aufsetze, während ich mir vorstelle, dass die Stimme, die mich von all meinen Leiden erlösen könnte, vielleicht schon seit zwei Tagen verzweifelt nach meiner Aufmerksamkeit heischt. Ich zwinge mich zur Geduld, denn ich will nicht einfach nur abhören, sondern zelebrieren, und ich danke dem Schicksal für meine beiden wunderbaren, einzigartigen Namen, die sich jeder so gut merken kann, sogar gegen seinen eigenen Willen. Ich fühle jetzt schon mit Simon mit, der wahrscheinlich seit zwei Tagen auf meinen Rückruf wartet und zusehends die Hoffnung verliert, Mila, ich liebe dich, melde dich bitte bei mir, lass uns einen Weg finden, damit wir zusammen sein können, es war so schön mit dir, so schön. Ich gieße einen Großteil des heißen Wassers über den Rand und versenke dazu noch Faden und Papierschildchen vom Teebeutel im Inneren der Tasse, als ich mir ausmale, wie Simon in Nummer 23 sitzt und mir aufs Band spricht. Dann gehe ich mit meinem Tee ins Wohnzimmer, ziehe einen Stuhl neben die Kommode, setze mich hin und starre auf das flackernde rote Licht. Fünf, fünf, fünf. Mein inneres Sicherheitskommando beginnt eilig Vorkehrungen zu treffen, um mich vor mir selbst zu schützen; besonnene Stimmen mahnen zur Vernunft, andere plädieren dafür, dem Kind seinen Spaß zu lassen, es spielt doch gerade so schön, aber letztendlich wissen wir es alle genau, mein Kopf, mein Bauch, mein klopfendes Herz: Hier ist nichts von Simon dabei.
Nachricht eins, empfangen am Freitag, 17 Uhr 30:
»Hannes hier. Ich hab dir schon was auf deine Handymailbox gesprochen. Sind meine Blumen bei dir angekommen? Ich versuch’s später noch mal.«
Nachricht zwei, empfangen am Samstag, 23 Uhr 12:
»Mila? Dein Handy ist immer noch aus. Du bist sauer auf mich, oder? War ein Fehler, passiert nicht wieder. Echt jetzt. Kann ich das irgendwie wiedergutmachen? Ruf mich zurück, bitte.«
Nachricht drei, empfangen am Sonntag, 14 Uhr 09:
»Ich bin’s, Marek. Mila milusi´nska , ich hab dir vor zwei Wochen per E-Mail Vollmachten geschickt, die du unterschreiben und an mich zurückschicken sollst. Mach das bitte endlich mal. Halt, warte. Bring das Zeug persönlich vorbei. Falls du unser Familienglück aushältst, meine ich. Du bist immer willkommen. Alles okay bei dir? Lass mal was von dir hören.«
Nachricht vier, empfangen am Montag, 00 Uhr 57:
»Jez geh doch endlich ran. Müssnrehn. Das kannze doch nicht.«
Nachricht fünf, empfangen am Montag, 01 Uhr 01:
»Kannze doch nicht bringen. Wir sind das Team. Dreamteam. Ach, fuck it.«
Kann ich wohl, Hannes. Die Hoffnung legt sich schnell wieder zum Sterben hin und schließt die Augen. Die Fünf blinkt jetzt im gemäßigten Tempo, und ich bekomme beim Trinken Faden und Etikett vom Teebeutel in den Mund und stelle die Tasse zur Seite. Gut, das kann ich sportlich nehmen, das war ein törichter Akt wider besseres Wissen. Simon wird nicht im Telefonbuch nach Mila Edel suchen. Simon wird überhaupt nicht nach Mila Edel suchen. Aber Mila Edel wird nach Simon suchen. Ein bisschen. Nur mal so. Nein, aus guten Gründen.
Die Jungs und Mädels von der Securitytruppe
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