Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
warten bereits am Küchentisch und werfen mir misstrauische Blicke zu, als ich mich zu ihnen setze und mit der Vorbereitung einer Mahlzeit beginne, die mich jetzt schon genauso langweilt wie Mareks Bankvollmachten. Ich überlege, ob Marek es witzig finden würde, wenn ich für ihn auf einem Stück Lauch unterschriebe. Weil ich weiß, dass die Meute am Tisch beim ersten Stichwort über mich herfallen wird, versuche ich lückenlos einen blödsinnigen Gedanken an den anderen zu reihen. Ich denke über ein vegetarisches Kochbuch nach, obwohl ich nie etwas Derartiges besessen habe, und hole schließlich meinen Laptop in die Küche, um im Internet auf einschlägigen Seiten nach Rezepten zu suchen. Mein ökologischer Fußabdruck hat angeblich unfaire 4,2 statt der maximal zugelassenen 1,8 Hektar Größe, das hat mir neulich eine Website ausgerechnet und mir vorgehalten, bei meinem Lebensstil bräuchten wir 2,36 Erden. Wenn ich schon das Autofahren nicht lassen kann, fange ich eben mit Lauchcremesuppe an, das klingt doch prima. Kartoffel-Zucchini-Auflauf. Gemüselasagne. Gemüselasagne! Wagner oder Wegner? Wagner, glaube ich. Simon Wagner. Und jetzt haben sie mich.
Es ist gegen die Abmachungen. Damit machst du alles nur noch schlimmer. Und vor allem machst du dich lächerlich. Was hast du denn davon? Das führt doch zu nichts. Möchtest du dir sein Porträt von irgendeiner Managerplattform runterladen und abends vor dem Einschlafen küssen? Hast du vor, mit Google Street View seine Wohnstraße rauf- und runterzufahren, sofern du sie überhaupt jemals findest, um dann vor seiner verpixelten Haustür herumzulungern? Bei ihm zu Hause anrufen und, erbärmlichste aller Vorstellungen, wieder auflegen, falls seine Frau rangeht? Friss das, Mila: Diese Geschichte ist beendet. Sie hat nur noch Platz in deinem Kopf. Du darfst gern bei jedem Rauschen der Toilette an ihn denken, du darfst dir vorstellen, dass es seine Hand ist, wenn deine eigene nachts zwischen deinen warmen Schenkeln spielt, und du darfst dir sogar die Zahl eurer Kinder ausdenken, die ihr zusammen gehabt hättet, wenn du Connie zuvorgekommen wärst, vorausgesetzt, dass Simon damals auf Fünfzehnjährige stand.
Ich höre mir die Argumente an, während ich Kartoffeln aufsetze, Zucchini und Lauch in kleine Stücke schneide und die Aubergine eine Weile ratlos in den Händen drehe, weil sie nicht so recht ins Gesamtkonzept passt. Am Ende landet alles in der Pfanne, vermischt mit dem Rest Sahne, der neben einer verschlossenen Flasche Chardonnay und einem daumenlangen Stück Salami als letzter Gast meinen Kühlschrank bewohnt. Mein Timing ist schlecht und die Kartoffeln sind noch steinhart, aber ich vertreibe mir die Zeit mit dem Wein, was nicht nur mich, sondern auch die Securityabteilung deutlich milder stimmt.
Wo waren wir stehen geblieben? Bei dem, was ich darf. Demnach wären jetzt die Empfehlungen und guten Ratschläge dran. Lass los. Lenk dich ab. Geh tanzen und schlepp ein paar gut gebaute Kerle ab, als Ego-Booster und homöopathisches Gegenmittel. Nimm Unterricht in Obertonsingen oder Pole Dance. Hör auf zu jammern. Sei dankbar. Es ist, wie es ist.
Nach dem zweiten Glas Wein sind die Kartoffeln gar und die Ermahnungen fast verstummt. Ich glaube, das könnte ein guter Abend werden. Damit er noch besser wird, schneide ich die Salami in kleine Würfel und vermische sie mit den anderen Zutaten in der Pfanne. Meine Ökobilanz bleibt schließlich dieselbe, ob ich das Zeug nun wegwerfe oder esse, und ja, es schmeckt wunderbar. Als mein Teller leer ist, wende ich mich wieder dem Wein zu. Die Schutztruppe wird ungeduldig. Sie wartet auf klare Anweisungen, um für meine innere Sicherheit sorgen zu können. Ich muss sie von meiner Mission überzeugen, denn wenn diese Runde nicht an mich geht, werde ich heute zum Einschlafen kein Taxi rufen müssen, sondern einen gesicherten Kleinbus für den Gefangenentransport.
Jetzt passt mal auf, sage ich, nun satt und souverän. Ich will einfach nur wissen, wo er ist. Wo er wohnt. Ich muss ihn irgendwo verorten können. Sonst würde ich mir in jeder Stadt, in die ich komme, vorstellen, er könnte hier leben. Ich würde hinter jeder Ecke mit ihm rechnen, ich könnte kein Café betreten, ohne nach ihm Ausschau zu halten, keinen Park, nicht mal einen Drogeriemarkt. Mich macht diese Vorstellung wahnsinnig. Ich will wissen, welchen Ort ich von jetzt an meiden muss. Damit ich aufhören kann, ihn zu suchen. Damit es still wird in meinem Kopf.
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