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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Dreißigerin wissen. Ihre weißen Handschuhe reichten bis zu den Ellbogen.
    »Sheila trägt die Sonne«, sagte der bekehrte Zotzer. »Sie ist ein lebender Regenbogen.«
    »Sheila fliegt«, erklärte der Hagere.
    »Sie ist jung«, fügte die Frau mit den Handschuhen hinzu.
    »Ja, glaubt ihr denn, Gottes Kinder werden nicht alt? Wir altern auch!« Sheila schwenkte einen Band ›Worte Sheilas‹ wild über ihrem Kopf – gestrandete Schiffbrüchige, die einem Ozeandampfer Zeichen geben will. »Ich hab dieses Zeug vor fünfzehn Jahren geschrieben. Bin bis jetzt in der Hölle gewesen. Um Christi willen…«
    »Sheila kam in den Himmel«, korrigierte die Frau mit der Elefantenhaut.
    Der Zotzer betrat den Mittelgang, zog die Gemeinde mit sich wie ein Magnet die Büroklammern.
    »Es liegt kein Verdienst darin, sich verbrennen zu lassen!« schrie Julie ihnen nach. »Laßt euch taufen! Bitte!«
    Zwei Minuten später waren Julie und Melanie allein.
    »Wie eine Ziegelmauer.« Julie warf den Sheila-Band zu Boden.
    »Ich glaube, sie können auf sich selber aufpassen«, sagte Melanie.
    Julie näherte sich der Kanzel und stützte sich auf die Ektogenesemaschinenattrappe. Liebes, närrisches Walroß! Ja, er mochte verrückt sein, plem-plem geworden bei ihrem Trick mit dem Atlantik, aber wahr blieb es doch: sie hatte ihn geliebt, und vielleicht liebte sie ihn immer noch.
    »Wart hier, Melanie.«
    Hinter der Kanzel weitete sich der Hauptkanal zu einem großen, feuchten, algenbewachsenen Raum. Julie patschte durch die Exkremente der Stadt Camden. Zu ihrer Linken liefen ein halbes Dutzend kleinere Röhren wie Wurzeln auseinander. Alle stanken nach Scheiße und den ölig faulenden Wassern des Delaware. Zu ihrer Rechten ein Einzimmer-Apartment im Lichte einer Kerosinlampe.
    Father Paradox’ Askese war denkbar streng: Militärfeldbett, zerbrochener Spiegel, Sterno-Ofen, Trockenklosett. Das einzige technische Zugeständnis war eine Offset-Druckmaschine, die unter lautem Getöse einem Kabel an der Decke Strom entzog. Bix saß an einem schäbigen Metallschreibtisch und bestrich gerade die Rückseite einer ›Der Himmel hilft‹-Kolumne mit Gummilösung.
    »Hello, Bix!«
    Blinzelnd grapschte er nach seiner Zweistärkenbrille wie ein überraschter Revolvermann nach seinem Sechsschüsser. »Ja?« murmelte er, setzte sich die Brille auf. »Was haben Sie gesagt?«
    »Bix – hi!«
    »Ich bin Father Paradox.«
    Ingeniöse Erfindung, diese Zweistärkenbrille, so Zeitalter-der-Vernunft-mäßig. »Ich bin’s. Deine alte Freundin Julie Katz.«
    Bix machte den Zeitungsausschnitt zum Drucken fertig, klebte ihn auf ein Stück Hemdenkarton. Die Gummilösung quoll träge darunter hervor. »Ich hab einmal eine Julie Katz gekannt. Ich war nie ihr Freund.«
    War das möglich? Er erkannte sie nicht wieder? »Wir hatten Rendezvous«, sagte Julie flehend. »Haben Nächte im ›Dante’s‹ verbracht!«
    »Ich hatte Rendezvous… mit jemand Jüngerem.«
    »Natürlich schau ich jetzt älter aus. Du bist doch selber kein junger Spund mehr. Kannst du dich nicht erinnern, wie du mir Valentinskarten geschickt hast? Du hast gesagt, du liebst mich!«
    »Ich liebe Sheila of the Moon.«
    »Gebumst hast du Sheila of the Moon. Sheila in deinem Bett war das, Bix! Hier – ich!«
    »Nein«, sagte er krächzend. Verdrängung, dachte sie: das Unzumutbare ins Unbewußte verbannt. »Nein«, wiederholte Bix, mit festerer Stimme, bissiger.
    »Hör zu, Herzchen, sag deiner Herde, sie sollen mit diesem Ketzerei-Blödsinn aufhören. Sie müssen Apokalyptiker werden!«
    »Werden sie nicht!«
    »Doch. Sheilas Befehl.«
    Bix nahm die Brille ab, wie um mit ihrem Bild auch die Angst zu verwischen, die sie verursachte. »Sheila gebot der See anzuschwellen – und die See trat über das Ufer. Es ist unmöglich, aber ich habe es gesehen. Nichts hat mehr Sinn. Die gute Nachricht ist, daß Gott existiert. Die schlechte Nachricht ist, daß Gott existiert.«
    »Wenn wir uns zusammentun, können wir vielleicht aus dieser bekloppten Republik raus. Nach Philadelphia sind’s nur zwei Meilen.«
    »Philadelphia?« Bix grinste ungläubig, als hätte sie eben eine Reise zum Neptun vorgeschlagen.
    »Yeah. Ein paar von diesen Röhren führen doch zum Fluß?«
    »Sind mit Stacheldraht verstopft.«
    »Den schneiden wir durch.«
    Bix schlug mit der Faust auf den Zeitungsausschnitt. »Zeit für Sie, zu gehen, Miss Katz!«
    Sie begann zu weinen. Sie war selber überrascht. »Oh, Honey, Bix, sie haben Georgina

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