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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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bebrillt, aber unzweifelhaft er!
    »Liebe Mitskeptiker, Logiker, Zweifler, Fragende, Relativisten, Rationalisten, Pragmatiker, Positivisten und Enigmatiker«, begann Bix, »heute wollen wir über Gott sprechen.«
    Ihr früherer Liebhaber umfaßte das Pult mit seinen Wurstfingern. Erst jetzt erkannte Julie, daß die zylindrische Form und gläserne Oberfläche eine Ektogenesemaschine darstellen sollten. Bix Constantine – auf einer Kanzel? Herzflattern, wirre Gedanken.
    »Kapitel fünf, Vers zwanzig!« dröhnte Bix und schlug ›Worte Sheilas‹ auf, eine riesige Schwarte. Julie nahm ein Exemplar aus dem Gestell. Kapitel fünf, Vers zwanzig war ihre Antwort an einen jungen Mann in Toronto, der sich nach Glauben sehnte.
    Bix räusperte sich, was sich nach einer Art Müllbeseitigung anhörte. »Sheila schreibt, ›Aus der Geschichte kennen wir vier grundsätzliche Gottesbeweise. Ich will ganz offen sein: sie sind alle falsch.‹« Er klappte das Buch zu, nahm die Brille ab und schwenkte sie wie einen Taktstock über seine Herde. »Spricht sie hier die Wahrheit? Ist es unmöglich, sich Gottes durch bloße Deduktion zu versichern? Beweis eins – der ontologische. Mit den Worten des heiligen Anseimus: ›Gott ist jenes Wesen, über das hinaus sich man kein größeres mehr vorstellen kann.‹ Leider gibt es keine Evidenz, daß Qualitäten wie Vollkommenheit, Unendlichkeit und Allmacht, nur weil der menschliche Geist sie sich ausdenken kann, auch die Würde einer ontologischen Beschaffenheit zukommt.«
    »So ist es!« rief die Gemeinde unisono.
    Als nächstes demontierte Bix den moralischen Gottesbeweis: Wenn die Fähigkeit der Menschen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, von Gott käme, würden sich die Gläubigen besser betragen als die Atheisten, ein Postulat, das von der geschichtlichen Erfahrung nicht gestützt wird.
    »So ist es!«
    Sodann zerhackte er den kosmologischen Gottesbeweis: Man ist nicht berechtigt, von den unzähligen Kausalverbindungen innerhalb des Universums auf eine ähnliche Verbindung zwischen Universum und einer hypothetischen transzendenten Entität zu schließen.
    »So ist es!«
    Schließlich nahm er sich noch den teleologischen Beweis vor: Vom mythischen Universum der Griechen über die Kristallsphären des Aristoteles bis zum gegenwärtigen Urknallmodell sind alle Bilder der Realität anthropomorph, es ist daher vermessen, eines von ihnen einem Gott zuzuschreiben.
    »So ist es!«
    »Wie wir alle wissen«, schloß Bix, »gibt es nur einen Beweis für Gottes Existenz, und das ist sie, der wir unsere verwirrten Herzen und Seelen zuwenden.« Seine Stimme wurde machtvoll und dröhnend wie ein Überschalljet. »Sheila, die uns den Gott der Physik offenbart und den Bund der Unbestimmtheit gestiftet hat! Sheila, die gegen alle Gesetze der Logik und der Natur dem Ozean befahl, das Feuer löschte und sich von der Erde erhob!« Er wandte sich von der Kanzel ab. »Ich danke euch, Brüder in der Verwirrung! Nächste Woche werden wir untersuchen, was Sheila mit dem Reich der Nostalgie meinte.«
    Mit einer Behendigkeit, die seine Körpermasse Lügen strafte, verschwand Bix in der Röhre, aus der er gekommen war. Die dünne Frau erklomm wieder die Kanzel und wies nun die Gemeinde an, zusammen das Schlußlied ›And the Tropicana Went Out, Out, Out‹ zu singen.
    Und Julie fragte sich: eingreifen? Nein, keine Frage. Statt mit diesen Idioten zu debattieren, könnte sie doch gleich mit dem Kopf gegen eine Ziegelmauer rennen.
    Warum stand sie dann auf? Und holte tief Luft?
    »Hey, alle herhören!« Julie schwankte in den Mittelgang. »Ich bin’s, Sheila!« Das freundliche Geschwätz ringsum verstummte. »Ja, ich bin’s wirklich! Hört mal, Leute, wir müssen miteinander reden. Ich bin nicht mehr göttlich, aber vielleicht kann ich euch helfen.« Hundert spöttische Blicke. »Als erstes müßt ihr euch alle taufen lassen, bevor sie euch erwischen.« Allseits offene Münder. Stirnrunzeln. Erstauntes Blinzeln: eine Eulenversammlung.
    »Sheila spricht zu uns«, behauptete ein hagerer Mann im abgetragenen Smoking.
    »Und sagt euch, ihr sollt Märtyrer werden?« fragte Julie.
    »Manchmal.«
    »Nein, das sag ich nicht! Absolut nicht!«
    »Sheila hat mich von der Diabetes geheilt!« verkündete eine lebhafte alte Frau mit runzliger Elefantenhaut.
    »Brachte mich vom Zotz weg«, bekannte ein junger Mann im blauen Serge-Anzug mit leicht bohèmehaftem Bart.
    »Wer sagt denn, daß du Sheila bist?« wollte eine hübsche

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