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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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zwängte die ganze Geschichte zwischen Waschmaschine und Trockengestell. Jetzt fühlte er sich besser. So war es richtig. Das Baby würde in einer abgeschlossenen tropischen Welt schwüler Seifendüfte heranreifen, erwärmt vom elektrischen Ofen, wenn er Kleider und Bettzeug trocknete.
    An dem Tag, als Murray die Maschine umsiedelte, schleppte sich auch Georgina Sparks zu Angel’s Eye hoch. Bepackt mit einem US Army-Rucksack, in einem sackartigen, gelbes T-Shirt mit dem Aufdruck: ›Männer – Uterusneid‹. Sie schob ein altersschwaches rostiges Fahrrad neben sich her. Zuerst erkannte er sie nicht. Erst als er ihrer Schwangerschaft gewahr wurde, die ihren Leib anschwellen ließ wie eine Ektogenesemaschine, erinnerte er sich an die freundliche Lesbierin aus dem Preservations-Institut.
    »Sehen Sie?« Sie präsentierte stolz ihren geschwollenen Bauch. »Ich hab’s zustande gebracht. Vor fünf Monaten. Bleiben noch vier und dann – pop! – mein eigener Meeresbiologe!«
    »Sie sehen großartig aus«, sagte er voll Bewunderung. Und sie sah wirklich gut aus mit ihrem hellen Teint und den reifen Konturen der Schwangeren.
    »Sagen Sie bloß nicht, Sie lassen wirklich das Ding da laufen.« Georgina drehte sich zum Leuchtturm, ihr rabenschwarzes Haar wirbelte durch die Luft. »Wie ungeheuer phallisch! Darf ich zuschauen, wenn Sie ihn einschalten?«
    »Ich verwende ihn nur bei Gedenkfeiern an Schiffsuntergänge.«
    »Heut abend könnten wir eine Gedenkfeier fürs Preservations-Institut abhalten. Wenn Sie mich fragen, haben diese idiotischen Apokalyptiker die Bombe gelegt. He, toll – Sie haben ja Ihren eigenen Privatozean hier!«
    Murray folgte Georgina, die ihr Fahrrad am Turm vorbei auf das Kap zuschob. »Unheimlich, nicht?« sagte sie. »Wenn ich meinen Samen nur einen Tag später abgeholt hätte, war er schon über halb Südjersey geflogen, und ich hätt nicht das Baby hier. Was alle möglichen Fragen von kosmischer Bedeutung aufwirft, wie zum Beispiel: wie beenden Sie Ihre personale Existenz verglichen mit einem… ich weiß nicht, einem Truthahn, der im französisch-preußischen Krieg getötet wurde?«
    Murray packte den Fahrradsattel und zwang Georgina zum Stehenbleiben.
    »Jemand hat das Institut gesprengt?«
    Sie nahm ihren Rucksack ab und zog einen zerknitterten Zeitungsausschnitt heraus. »Sie verfolgen die Vorgänge draußen nicht gerade mit großem Interesse. Hier…«
    BABY-BANK GESPRENGT hieß die Schlagzeile. »Longport, New Jersey«, las Murray. »Wie die Polizei meldet, hat eine selbstgebaute Bombe die Samenbank zerstört. Dabei wurde ein 41jähriger Meeresbiologe getötet und…«
    Eine Wolke heißer Gase stieg ins Murrays Luftröhre. War das eine rationale Reaktion? Hatte die Bombe tatsächlich seinem Embryo gegolten?
    Er las weiter. Verdächtigt wurde die First Ocean City Church der Offenbarung des heiligen Johannes, aber eine Anklage schien unwahrscheinlich; die Verdachtsmomente gegen die Demonstranten waren von untergeordneter Bedeutung. Dr. Gabriel Frostig bedankte sich in einem Interview bei der University of Pennsylvania, die dem Institut eine neue Heimstätte angeboten hatte; weiters beklagte er den Totalverlust einer besonders wertvollen technologischen Errungenschaft, des weltweit einzigen Prototyps einer Ektogenesemaschine.
    Totalverlust. Murray verstand. Gute Nachrichten.
    Vor fünf Monaten hatte er eine gläserne Gebärmutter gestohlen, aber jetzt war er nur ein Bücherwurm, der seine Waschküche verschlossen hielt. Er war aus dem Schneider. Gerettet. Nur konnte er sich nicht darüber freuen. BABY-BANK GESPRENGT. Jemand war hinter seinem Kind her… Alberner Einfall. Ichbezogen und paranoid. Er las weiter. Eine schreckliche Aufregung erfaßte ihn. Der ermordete Meeresbiologe in Absatz eins war Marcus Bass. Er las den Artikel wieder und wieder durch. Ja, Marcus Bass. Die vier Kinder, die Fotos aus der Brieftasche. Konnten alle schwimmen.
    »Dinner«, sagte er krächzend. Wenn er nun Georgina sagte, der Vater ihres Fetus sei tot: Würde dadurch irgend etwas besser?
    »Huh?«
    Nein. Überhaupt nicht. »Wollen Sie zum Dinner bleiben? Ich hab Spaghetti. Allerdings keinen Wein.«
    »Ich trink momentan sowieso nichts.« Georgina tätschelte ihren Biologen. »Die Schwangerschaft.«
    An diesem Abend kochte er ausgesprochen schauerlich. Die Spaghetti so zerkocht, daß sie unter ihrem eigenen Gewicht zerfielen. Der Salat matschig und ein Widerspruch in sich selbst: halb griechisch, halb Thunfisch.

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