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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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doch nicht da, wie eine Katze, die durch die Dämmerung schleicht. Welch ungeheures Glück die Welt ihm doch bot, dachte er. Unikum oder nicht, das war sein Kind, gehörte ihm, niemand anderem, egal, ob es nun einem Kohlbeet, dem Alleinen oder der Stirn des Zeus entsprossen war. Sein Kind.
    »Ich bin in Sorge, Georgina. Die Baby-Bank-Sprengung. Sie muß leben können.«
    »Das Kind von nebenan. Sie ist einfach die Kleine von nebenan.«
    »Aber Sie glauben wirklich… Gott?«
    »Tut mir leid, Mur. Sie ist ein göttliches Wesen. Sie soll hier auf Erden was in Gang bringen.«
     
    ›Bong, bong, bong‹, dröhnte die gläserne Kadenz aus der Waschküche wie der Stundenschlag einer Kristalluhr. Sie aßen bei Kerzenlicht, die Stromversorgung war zwischen Brigantine und Margate im Unwetter zusammengebrochen. Georgina schaute vom Teller auf und lächelte. Von ihrem Mundwinkel baumelte eine einzelne Nudel.
    »Da ist was unterwegs«, sagte sie. Der Sturm blies seewärts, die Welt schien wie geschrubbt, die Luft glasklar. »Auf Engelsflügeln.« Georgina, die Neo-Katholikin. »Oder Phönixflügeln.« Georgina, die heidnische Priesterin.
    Baumäste schlugen ans Küchenfenster. Murray holte die Coleman-Laterne aus der Vorratskammer und entzündete die beiden hodenförmigen Glühstrümpfe. Als sie zusammen zur Waschküche hinunterstiegen, stieß er gegen Georginas gewölbten Leib. Straff war der, wie elektrisch geladen unter dem höchst künstlerisch gefärbten Umstandskleid.
    Und dann sie, gefangen im zischenden Licht der Coleman-Lampe, ein Baby, das eben zur Welt kam – mit ihrer festen kleinen Faust ans Glas trommelte. Die Fruchtblase zerrissen, das bauchige Gefäß schon halb mit Fruchtwasser gefüllt. Harte Schatten auf dem entschlossenen Gesicht.
    Schwaden kondensierter Atemluft zogen durch den Behälter; Julies Mühen, auf die Welt zu kommen, erinnerten an die stummen Windungen der Kreatur in einem Traum. Ein Riß in der Glaswand, ein Gitterwerk feiner Sprünge.
    »Julie, nein!« Murray stürzte zu der Apparatur. Der Behälter zersprang – Teetasse, Hammerschlag, Splitterschauer hagelten auf die Waschmaschine, Fruchtwasser ergoß sich über die Matratze. »Julie!«
    Blut auf ihrer Stirn.
    Er nahm das nasse, schreiende Baby aus der zertrümmerten Apparatur und drückte es an die Brust. Das Blut aus der Stirnwunde floß auf seinen weißen Wollpullover. Immer mehr Blut. Er war glücklich, spürte den Schlag des Herzens. Das Kind hatte ein wirkliches Herz, wie jedes andere Baby. Kein geisterhafter Funke, kein übernatürliches Vibrieren, sondern ein pumpender, fleischiger Muskel. Sie war ein Kind, ein Mensch am Beginn ihres Lebens, jemand, den man in den Eissalon einladen konnte oder zu einem Spiel der Nets. Die Nabelschnur, sah er, verband noch den Nabel mit der Placenta. Noch war sie nicht ganz geboren. Aber da kam schon Georgina; mit der Geschicklichkeit eines geübten Bootsmanns durchschnitt sie die Schnur mit ihrem Schweizer Armeemesser und band sie ab.
    »Geschafft, Mur! Eine natürliche Geburt.« Sie langte sich einen Kissenbezug vom Trockner, preßte einen Zipfel gegen Julies schlangenförmige Wunde.
    »Süße kleine Julie!« Das Babygeschrei wurde zu quengelnd schmollendem Schluckauf. »Ist doch nur ein Kratzer, Julie, Schätzchen.«
    Murray war verlegen, weil er so weinen mußte, er war überwältigt durch die Ankunft seiner Erstgeborenen. Er hob das zappelnde Bündel hoch, dachte, die Masse dieses kleinen Körpers war etwas wie Kunst, bedeutete Vollendung. Jedes Gramm seiner Julie war vollendet.
    »Hallo«, krächzte er, als habe sie ihn gerade angerufen. Seine Umarmung hätte ein, zwei Knochen brechen können, aber er spürte: Liebe erhöht die Belastbarkeit; je stärker er sie drückte, desto ruhiger wurde sie. »Hallo, hallo!«
    »Sie brauchen einen Kinderarzt«, sagte Georgina. »Ich werde Dr. Spalos sagen, daß sie ihn anrufen.«
    »Eine Frau zweifellos.«
    »Hm-hmm. Sie sollten sich auch eine Geburtsurkunde kommen lassen.«
    »Geburtsurkunde?«
    »Wegen Führerschein usw. Keine Angst, hab ich alles mit meiner Hebamme erlebt. Wenn kein behandelnder Arzt da ist, gibt’s ein Formular zum Ausfüllen. Schicken Sie es nach Trenton, Office of Vital Records, zusammen mit der Eintragungsgebühr. Drei Dollar.«
    Er betrachtete Julie. Die Wunde hatte sich geschlossen, das Blut auf ihren Wangen war trocken. Er hielt ihr Gesicht ganz nahe vor seines. Die Luft aus den kleinen Lungen formte den Mund zu einem Faksimile

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