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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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die Wände ihrer Vagina – »jede Vorstellung fliegender Galaxien aufgeben.«
    Zellbiologie! Analytische Chemie! Geophysik! Phylogenese! Vergleichende Anatomie! Elektrisch aufgeladen sang ihr Blut, die Brandung beobachtbarer Daten, erotischer Ansturm experimentell prüfbaren Wissens. Wär das möglich? Daß ihr Kommen mit Wissenschaft zu tun hatte? War sie gesandt, das Evangelium empirischer Wahrheit zu verkünden?
    »Im Großen gesehen« – Howard keuchte schon wie ein deutscher Schäferhund – »sind die Sterne in Ruhe, entfernen sich voneinander nur in dem Maße, wie der Raum selbst…« – tiefer, urtümlicher Klagelaut – »… wächst!!« Er entlud sich in ihr, Julie stellte sich zahllose Galaxien vor; auf das Kondom gedruckt, die sich voneinander entfernten, als sich das Universum mit seinem Samen füllte.
    Sie fragte: »Glaubst du, die Wissenschaft kennt alle Antworten?«
    »Hmm?«
    »Wissenschaft. Kennt sie alle Antworten?«
    »Jeder hält sich für furchtbar tiefsinnig, wenn er sagt, die Wissenschaft kennt nicht alle Antworten.«
    Vollbracht. Alles. Jungfräulichkeit verloren, das Fleisch bestätigt, Mutter geärgert, ihre Mission enthüllt – das Evangelium empirischer Wahrheit! Ja! O ja!
    »Die Wissenschaft kennt alle Antworten«, sagte Howard und zog sich aus ihr zurück. »Das Problem ist nur, wir kennen noch nicht die ganze Wissenschaft.«
     
    »Atme«, sagte Georgina.
    Murray atmete. Die Schmerzen blieben, krochen durch Brust und Arme, erzeugten gezackte Buckel auf dem Oszilloskop. Wie eng alles in der Welt verbunden war, dachte er. Das Oszilloskop verbrauchte elektrische Energie, erzeugt durch Kohle; zuerst hatte ein Kumpel in West Virginia den bituminösen Klumpen abgebaut, dadurch war jemand in der Überwachungsstation imstande, Mr. Katz bis jetzt am Leben zu erhalten.
    »Hoffnungslos«, stöhnte er. Er lag schwer auf den zerknitterten Laken. Wie ein Marionette hing er an Katheter, Infusionsschlauch, Kabelwirrwarr auf seiner Brust. Das klopfende Herz piepste ihm zu. Wenn die Monitorausschläge erst aufhörten, dachte er, würde er noch die plötzliche Stille hören? Oder würde er dann schon tot sein? »Wie der Vater, so der Sohn.«
    »Roßnatur.« Georgina zerrte an einer Strähne ihres ergrauten Beatnik-Haars. Er versuchte, seine Zukunft aus ihren Tics abzulesen: je nervöser Georgina, desto näher war er der endgültigen Auslöschung. »Du mußt nur atmen. Hat mich noch aus jeder Klemme gebracht.« Er tat einen tiefen Atemzug. Die Buckel auf dem Schirm wurden rund, die Schmerzen ließen nach.
    »Julie kommt gleich.«
    Julie, grübelte er. Liebe Julie mit ihrer Last. Wie normal sie zu sein schien, wie vernünftig. Relativ vernünftig. »Wir haben bei ihr alles richtig gemacht, oder?«
    »Eins A«, sagte Georgina.
    »Sie ist immer noch das Mädchen von nebenan«, sagte Murray. »Ihre Feinde haben nicht den kleinsten Hinweis.«
    »Hätte nie gedacht, daß wir sie über die Kindheit bringen. Sie und Phoebe haben sich tüchtig ausgetobt.«
    »Mädchen toben sich aus?«
    »Natürlich tun sie das. Ich hab’s auch getan.« Georgina schaltete den Fernseher an; ein Offenbarungsprediger verkündete, in Trenton seien neulich dreißig Fälle von Diabetes geheilt worden. »Ich kann nicht behaupten, daß es leicht war, die ganze Zeit zu schweigen. Jeden Morgen wache ich auf und will die Sache herausschreien. Aber ich tu’s nicht. Ich hüte meine Zunge. Weil ich dich liebe.«
    Der letzte zögernde Schmerz verschwand aus Murrays Brust. »Du liebst mich? Wirklich? Du bist nicht nur nett zu mir, weil meine Tochter mit dem… wie heißt das gleich… Ur-Hermaphroditen verbunden ist?«
    »Wenn ich keine Lesbe wär, Mur, würd ich dich heiraten.«
    »Mich? – Mich würdest du heiraten?«
    »Kannst deinen Arsch drauf wetten.«
    »Willst du’s nicht trotzdem tun?« Er wechselte die Kanäle: eine Springflut hatte eben die Zivilisation von einer Philippineninsel weggespült. »Ich mein’s ernst, Georgina. Laß uns heiraten. Du müßtest die Frauen nicht aufgeben, könntest sie nach Hause bringen.«
    »Ach, das ist lieb von dir – aber ich fürchte, Phoebe ist der einzige sexuelle Generalist in der Familie.« Die Navajo-Armbänder an ihrem Handgelenk klapperten schrill, als sie den Zeigefinger ausstreckte und über das Gekritzel auf dem Oszilloskop fuhr. »Schau, wenn ich jemals ans andere Ufer kommen sollte, du bist der erste Kerl, den ich ins Auge fasse, versprochen. Bis dahin bleiben wir besser Freunde,

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