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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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verrückt.«
    »Hab ich früher auch geglaubt. Jetzt nicht mehr. Tatsache ist, ich Will ihrem verdammten Tempel Paroli bieten, ich will, daß sie sich verpflichtet fühlt!« Phoebe stieg auf ein verfallenes Einhorn, das nur noch durch Nägel, Bolzen und Fiberglasfetzen zusammengehalten wurde. »Katz sollte dahinter sein, den Leuten zu helfen – Krankheiten heilen, Nahrungsmittel nach Äthiopien schaffen, den Bürgerkrieg in der Türkei beenden. Sie sollte darauf aus sein – den Teufel selbst zu schlagen.« Der Teufel? Ja, der Teufel, kein Zweifel. Phoebe schraubte die Flasche auf und trank in großen Schlucken; die magische Flüssigkeit stärkte sie, ein Burggraben voll Rum umgab ihr Herz. Ein vorsichtiges Mädchen würde absteigen und fortlaufen, dachte sie. Sie stemmte die Boots fest in die Steigbügel. Vorsichtige Mädchen bringen den Teufel nicht in Wut.
    »Julie kann sich nicht mit irdischen Kleinigkeiten beschäftigen«, beharrte Wyvern. »Sie hat eine viel wichtigere Mission.«
    »Da gab’s doch dieses blinde Kind, das jetzt wieder sehen kann.«
    »Julie wurde gesandt, um eine Religion zu gründen. Nur dadurch kann sie Frieden finden!«
    »Ihre göttliche Freundin hat ihr das nie gesagt.«
    »Der Himmel teilt sich nur indirekt mit – durch Leute wie Sie und mich.«
    »Und wir sagen Katz, sie soll eine Religion gründen?«
    »Genau.«
    »Was denn für eine?«
    »Groß muß sie sein. Apokalyptisch. Sagen wir, wie das Christentum.«
    »Wissen Sie, was ich glaube, Mr. Wyvern?« Phoebe stieg vom Einhorn und torkelte unter dem Schutz der Trunkenheit zurück auf den Pier. »Ich glaube, Sie sind so voller Scheiße, daß Ihnen schon Rosen aus dem Arsch wachsen!«
    Die Teufelslippen zuckten wie wütende Nacktschnecken. »Wenn du wüßtest, wer ich bin, würdest du nicht…«
    »Ich weiß aber, wer sie sind!«
    Wyvern umklammerte das Zaumzeug. Die Hand wurde ganz weiß. Langsam und unbarmherzig, wie ein verfaulter Leichnam, der in einem von Roger Worths Horrorfilmen ins Leben zurückkehrt, begann sich das Karussell zu drehen. Schnell und schneller. Und noch schneller. Stieß dunkle, fühlbare Böen aus wie ein Spinnrad das Garn.
    »Du bist Julie eine schlechte Freundin!« schrie Wyvern aus dem Kern des Tornados. Der Washington Post- Marschdröhnte ohrenbetäubend kreischend aus der Dampforgel des Karussells.
    »Fick dich selber, Mister!« Die Böen zerrten an Phoebes verfilzten Haaren, Papierfetzen wirbelten den Pier entlang wie Wüstenhexen in einer Geisterstadt.
    »Eine schreckliche Freundin!« Vierundzwanzig hölzerne Pferde galoppierten, aus dem Grab zurückgekehrt zum höheren Ruhm des Steel-Pier, zum Ruhm von Atlantic City. Fliegen und Heuschrecken flogen wie Geschosse aus dem Wirbelsturm. Ein Geschwader von Fledermäusen erhob sich hoch in die Lüfte, jede mit menschlichem Gesicht – Männer, Frauen und Kinder, ausgesogen, beraubt aller Hoffnung. »Julie verdient was Besseres!«
    »Fick dich selber und die Sau, die du zum Frühstück gefickt hast!«
    Einem Kinderkreisel gleich unterlag das Karussell langsam der Schwerkraft, kam zum Stehen. Wyvern war fort, der Löwe ohne Reiter.
    Der Teufel. Der gottverdammte, leibhaftige Teufel.
    Phoebe war allein auf dem Pier. Sie keuchte und zitterte. Aber nach einem seelenstärkenden Schluck Pfadfinderrum beschloß sie, eines Tages – irgendwie – dafür zu sorgen, daß Julie Katz all ihre Möglichkeiten ausschöpfte.
     
    »Das Herz ist eine Pumpe«, schrieb Julie in ihr Tagebuch. Tags zuvor hatten sie und Howard Lieberman Schluß gemacht. »Es ist schwach und unbeständig wie jede Maschine; manchmal bringt eine Embolie der Gleichgültigkeit den Strom der Liebe zum Erliegen.«
    Die Beziehung hörte so plötzlich auf, wie sie begonnen hatte. Sie frühstückten zusammen in seinem Apartment. Im Bett. Seit April lebten sie zusammen. Howard plauderte plötzlich von einem Trip auf die Galapagos-Inseln, sprach so selbstverständlich davon, als ob sie sehnlich dorthin fahren wollte.
    »Warum sollte ich ausgerechnet dorthin?« fragte Julie und bestrich einen Kringel mit Schmelzkäse.
    »Warum? Warum? Es ist das Jerusalem der Biologie, darum!« Howard schob ihr Nachthemd hoch und küßte ihren Bauchnabel; ein fester kleiner Stummel, der sie einst mit Gott verbunden hatte. »Die heilige Stadt der Naturwissenschaft. Auf Galapagos befreit sich der Geist von der Illusion göttlicher Führung.«
    »Wird ziemlich heiß dort, hab ich gehört.«
    »Das wird’s in Philadelphia auch.«

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