Die eingeborene Tochter
oder?«
»Wird so sein.«
»Heiraten kann jeder, Mur. Freundschaft ist das Wahre.«
Sein Herz summte. Freundschaft ist das Wahre: richtig. Georgina kam ihm manchmal verrückt vor – all ihre wilden Hexentheorien über Pyramidenkräfte und die Seelen von Regenbogen –, aber abgesehen von seiner Tochter war sie das beste, was ihm in seinem Leben begegnet war; er würde Georginas Freundschaft nie für eine Ehefrau eintauschen. »Ich hoffe nur, Julie heiratet«, sagte er.
»Du wirst noch auf ihrer Hochzeit tanzen.«
Er sah auf den Oszilloskopschirm – völlig ebener Ozean, auf dem die Wellen seines Herzens gleichförmig entlangliefen. Er lächelte. Julies Hochzeit. Ein ungewöhnlicher Gedanke. Seine Enkelkinder. Vielleicht – ungöttliche Enkelkinder? War Göttlichkeit ein rezessives Merkmal?
Der Vorhang glitt zur Seite. Da war sie. Sicher nicht mehr als sieben Kilo Übergewicht, vor sich einen riesigen Strauß Chrysanthemen. »Konterbande«, sagte sie mit bemühter Fröhlichkeit und setzte die Vase auf dem Nachttischchen ab. »Sie erlauben nicht, daß man sowas in die Intensivstation bringt, verpestet die Luft oder so.« Als sie das halbe Dutzend Saugkappen auf seiner Brust entdeckte, wurde sie so bleich, daß ihre Stirnnarbe fast verschwand. »He, du siehst gut aus.« Brüchige Stimme. Sie küßte ihn auf die Wange. »Wie geht’s dir?«
»Manchmal bin ich erschöpft. Schmerzen ab und zu.«
Julies Augen glitzerten feucht, die Mundwinkel liefen scharf nach unten. »Ich weiß, was du denkst – wie bei deinem Vater.« Eine Träne fiel. »Sie wissen heute eine Menge über Herzen. Wirklich. Das Herz ist eine Pumpe.«
»Gib ihm ein neues!« sagte Georgina mit fester Stimme.
Wieder wurde Julie bleich. »Was?«
»Du hast es gehört.«
»Georgina«, flüsterte Julie mit warnendem Unterton.
»Ich werd es niemandem erzählen – großes Girl’s Scout-Ehrenwort.«
»Georgina, du verlangst…«
»Ein neues Herz, Kind. Vergiß das ganze Zeug mit der Ära kosmischer Harmonie. Vergiß die synergistische Konvergenz. Gib deinem Pop einfach ein neues Herz.«
Georgina verließ die Intensivstation. Im Fernseher sprach man von Terroristen, die auf einem griechischen Kreuzer Handgranaten geworfen hatten. Murray dachte: Am liebsten hätte sie gesagt: ›Georgina, du verlangst zu viel.‹ Er betrachtete ihre Stirn. Die Farbe kehrte zurück, die Narbe war wieder sichtbar. Er zweifelte nicht, daß Julie ihn heilen könnte, und wollte das auch: die Vorstellung völliger Auslöschung ließ ihn förmlich schäumen vor Zorn. Wie konnte das Vergessen einfach daherkommen und seine Gedanken, seine Tochter, seine Freundin, seine Bücher auslöschen?
Aber nein. Es war zuviel verlangt. Sie muß sich von der breiten Straße fernhalten. Wenn sie erst einmal begann, einzugreifen, würde es nie mehr aufhören – neues Herz, zweites neues Herz, gerettetes AIDS-Opfer, vereitelter Wirbelsturm, zurückgenommener Bergrutsch, aufgehobene Revolution –, und dann würden ihre Feinde auch schon vor der Türe stehen.
»Also, sei jetzt bitte ehrlich«, sagte er, »ich muß doch sterben an dieser Krankheit?«
»Aber nein!«
»Ich hab das bis jetzt niemandem erzählt, aber… ich hab einmal Phoebes Vater getroffen.«
»Wo ist er?«
»Er ist tot.«
Julie runzelte die Stirn. »Tot?«
»Er war im alten Preservations-Institut, als es in die Luft flog. Er hat mich damals überredet, dich zu stehlen – deine Maschine.«
»Phoebe stellt sich noch immer vor, sie findet ihn eines Tages.«
»Das wird sie nicht.«
»Soll ich’s ihr sagen?«
»Auf keinen Fall. Der arme Kerl hatte vier Kinder. Jungen. Ich hab ihnen manchmal Baseball-Karten geschickt.« Oh, er würde Markus Bass so gerne wiedersehen – ihn sehen, umarmen, ihm für die Einsicht danken, daß er den Embryo brauchte. »Schatz, hat Gott dir je gesagt, was nach dem Tod geschieht?«
»Du liegst doch nicht im Sterben.« Julie ballte die Hände zu Fäusten. »Du mußt ›Hermeneutik des Gewöhnlichen‹ beenden.«
»Aber hat sie dir jemals etwas darüber gesagt?«
»Meine Mutter ist außerhalb des Universums, Pop – sie ist die Gottheit der Physik, da bin ich mir sicher.« Gedankenverloren drehte Julie am Senderknopf. Der Road Runner beep-beep teüber den Schirm. »Wir denken beide dasselbe, nicht? Georgina sagte…«
»Ich hasse diesen Road Runner.« Er blickte finster zum Fernseher. »Als ob er Ameisen im Gefieder hätte.« Der Gott der Physik? Julies Mutter eine bloße Formel, der
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