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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Funke, der den Urknall gezündet hatte? Würde eine Menge erklären, dachte er. »Die Antwort ist ›nein‹. Ich mach das hier auf die harte Tour.«
    Sie streichelte seine verdrahtete Brust. »Wenn ich nur ein paar neue Zellen machen…«
    »Überleg doch! Du kannst mein Herz reparieren, aber wie willst du den Streß und das Fett wegbringen – die ganze Welt heilen? Lassen wir das Herz mal beiseite – vielleicht ist es das nächstemal Hirnschlag, Nierenversagen oder Alzheimer.«
    »Ich kann dich nicht sterben lassen.«
    Eine auffallende Krankenschwester kam herein, eine Art angezogene Miss November – aggressiv vorgewölbter Busen, schöne Nuttenlippen. Sie legte ihm eine Pille auf die Zunge. »Die Besuchszeit ist um.«
    »Meine Tochter«, sagte er und schluckte die Pille. Wie konnte das große Vergessen es wagen und die Krankenschwestern dieser Welt auslöschen?
    »Wie schön für Sie.« Sie schenkte Julie ein sonniges Lächeln. »Die Blumen dürfen leider nicht hierbleiben.«
    Wieder küßte Julie seine Wange. »In Ordnung, Papa. Du gewinnst.« Ein sanfte vaskulare Welle rollte über das Oszilloskop. Ihm war nach einem Schläfchen. »Geh jetzt. Leb dein eigenes Leben.«
     
    »On the Boardwalk in Atlantic City«, sang Phoebe, vom unfreundlichen Märzwind am kaputten Karussell am Steel-Pier vorbeigetrieben, »we will walk in a dream.« Die gute alte Pfadfinder-Feldflasche klapperte an ihrer Seite. Wie ein Kind, das ihre Aufmerksamkeit erregen wollte. »On the Boardwalk in Atlantic City, life will be peaches and cream.« Die abgewrackten und verfallenen Piers umgaben die Stadt wie ein Ruinengürtel – schäbige Version der Akropolis; Überbleibsel einer früheren, vornehmeren, bedeutenderen Zeit. Phoebe hatte entdeckt, daß man hier gut die Mittagspause verbringen konnte – ganz ungestört.
    Sie schraubte den Verschluß ab, setzte die Flasche an die Lippen. Mom hatte nichts gegen ein Bier ab und zu, aber richtiger Alkohol war out. Es gab jedoch Phasen, da gab ihr nur der Bacardi, daß die Welt sich gut anfühlte: Rum, die Wunderdroge.
    Ganz am Ende des Piers war ein Mann am Fischen. Phoebe leckte sich den Rum von den Lippen und verschloß die Feldflasche.
    »Was gefangen?«
    Er drehte sich um. Ein Kaukasier. Nein, nicht ihr Vater. Es war nie ihr Vater. »Einen Barracuda letzte Woche, heut beißen sie nicht.« Der bärtige Angler sah ganz gut aus; sein muskulöser Oberkörper steckte in einem roten Rollkragenpullover. »Wie geht’s, Miss Sparks?«
    »Sie kennen mich?«
    Der Fremde grinste. Seine Zähne waren weiß, dabei krumm und schleimig wie Perlen aus einer heruntergekommenen Auster. »Ich war damals im Deauville-Hotel, als Sie das Dynamit gefunden haben. Hab mich mit Julie unterhalten.«
    »Sie sind dieser Freund ihrer Mutter?«
    »Andrew heiß ich. Wyvern.« Er spulte die Schnur auf und begann die Angelrute auseinanderzunehmen. »Ich will offen sein. Ich mach mir Sorgen um die gute alte Julie.«
    »’s geht ihr nicht besonders«, stimmte Phoebe zu. Sie mochte diesen Andrew Wyvern nicht. Er hatte die schäbige Aura eines Kasinogangsters. »Göttlichkeit ist kein Spaß, nehm ich an. Dauernd denkst du, du tust zuwenig.«
    »Phoebe, Herzchen, ich hab Wichtiges mit Ihnen zu bereden.«
    Phoebe klopfte auf die Pfadfinder-Feldflasche. »Einen Drink? Es ist Rum.«
    »Rühr das Zeug nicht an. Wissen Sie, daß Sie in Julies Leben eine entscheidende Rolle zu spielen haben?«
    »Sie war bis jetzt nie besonders scharf drauf, auf mich zu hören.« Wyvern packte sein Angelzeug zusammen und grinste strahlend. Er wandte sich der Promenade zu.
    »Sie wollen ihr doch ein paar neue Zeitungsausschnitte schenken. Zu Chanukkah. Für ihren Tempel«, sagte er.
    »Yeah. Und auch zum Geburtstag.« Widerstrebend folgte sie Wyvern zum Karussell. »Wie haben Sie das rausgekriegt?«
    »Gut geraten.«
    Zweifellos taten sich die Freunde von Julies Mutter leicht beim guten Raten.
    »Sicher meinen Sie es gut. Sie wollen ihr damit beibringen, daß sie nicht verpflichtet ist, das Unglück der Welt zu beenden. Es gibt einfach zuviel davon. Schön.« Wyvern stieg auf einen splittrigen, termitenzerfressenen Löwen. Er roch nach Orangen mit Honig. Und nach Tücke. Ein Gangster? Nein, was viel Schlimmeres. Phoebe spürte das.
    »Aber es kann trotzdem schiefgehen«, sagte er warnend. »Wenn wir nicht vorsichtig sind, wird sie davon besessen, jedes kleine Übel auf dem Planeten zu reparieren. Wenn sie erst damit anfängt, wird sie

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