Die eingeborene Tochter
Zwiespalt. Freiheit der Entscheidung? Diese Entscheidungen trifft man normalerweise im Schlafzimmer, und nicht in der Abtreibungsklinik. All jene Abtreibungskandidaten, die man im letzten Augenblick hat davonkommen lassen, haben danach ein außergewöhnliches und wertvolles Leben geführt.
Andererseits haben die ›Lebensbefürworter‹ weit weniger Engel auf ihrer Seite, als sie annehmen. In der Bibel steht nichts über Abtreibung. Haben Sie je von Augustinus gehört? Dieser berühmte Theologe sagte, man dürfe Abtreibung nicht mit Mord auf eine Stufe stellen, denn in seinen Augen war ein Fetus weit weniger wert als ein Baby. Thomas von Aquin, ein anderer berühmter Katholik, erlaubte Abtreibung bis zur sechsten Woche bei Jungen und bis zum dritten Monat bei Mädchen – zu diesem Zeitpunkt bekommen sie angeblich erst ihre Seelen. Und ich bin wirklich sehr bekümmert, wenn ich sehe, wie die ›Lebensbefürworter‹ über tote Feten Krokodilstränen vergießen, während Tausende von Wunschkindern Tag für Tag sterben – aus Ursachen, die man genausogut verhindern könnte wie die Abtreibung.
Wie so vieles in diesem Jahrhundert, meine Liebe, ist Ihr Dilemma voller Ambivalenz. Sie werden sich dabei wohl oder übel von Ihrem Gewissen leiten lassen müssen.
LEIBE SHEILA: Ich möchte Ihnen gern über unseren neunjährigen Sohn Randy schreiben, der nach einem tapferen, viele Monate dauernden Kampf letzten März einer akuten lymphoblastischen Leukämie erlegen ist. Randys Hobby war das Sammeln von Baseballkarten – von der mitgeschickten Pedro Guerrero-Karte können Sie seine Emanationen aufnehmen. Sie werden spüren, was für ein wunderbarer kleiner Junge er doch gewesen ist.
Am Anfang hat uns der Schmerz niedergeschmettert, aber dann erkannten wir, daß Randys Krankheit Teil eines liebevollen Plans unseres Herrgotts ist. Randy ist nun unser Engel und Führer, er bereitet im Himmel einen Platz für uns vor. Wenn wir im Herrn wandeln, wird der dunkelste Schicksalsschlag zum Geschenk, nicht wahr, Sheila? – ERNEUERT IN BIS-MARCK.
LIEBE ERNEUERTE: Wunderbar, daß Sie Ihren Schmerz besiegt haben, und Randys spirituelle Schönheit ist dieser Pedro Guerrero-Karte wirklich anzumerken, aber ich kann mir nicht helfen – es ist doch naheliegend, daß ein Gott, der mit uns über Leukämie kommuniziert, am besten ausrangiert werden sollte.
Meiner Ansicht nach sollten wir aufhören, an Gott niedrigere Maßstäbe anzulegen als an die Post. Angenommen, die Ärzte hätten Ihren Sohn geheilt. Dann hätte das doch die unendliche Güte meiner Mutter bewiesen, oder? Verstehen Sie, was ich meine? Ob so oder so: Gott gewinnt immer.
Julie war schon drei Monate bei der Zeitung. »Wenn ich ehrlich sein soll«, sagte Bix am Telefon, »das ist nicht ganz die Kolumne, die wir uns vorgestellt haben.«
»Nein?«
»Sie muß einfach spiritueller werden! Tony will das anders: Sheila soll den Leuten sagen, wie sie ihre verborgenen psychischen Kräfte nutzen können – sich auf die kosmischen Rhythmen einstellen und so.«
»Aber genau das erwarten doch alle!«
»Ich weiß.«
»Große Scheiße ist das!« Sie wünschte, sie hätte ihn nicht angerufen. »Georgina Sparks’ Scheiße ist das.«
»Damit verkauft man Zeitungen. Schauen Sie, meine Liebe, bis jetzt sind Sie nicht grad ein Verkaufsschlager. 1,2 Prozent Auflagensteigerung, das ist auch schon alles. Und kein Wort mehr über ›Gott ausrangieren‹ usw., okay? Um Gottes willen, die haben einen Sohn verloren!«
Stimme vom Wählamt: »Bitte, werfen Sie für die nächsten drei Minuten 30 Cent ein.«
»Ich bin gekommen, um die Welt aufzurütteln«, sagte Julie. Zeit, sich ein eigenes Telefon zuzulegen, dachte sie. Sie hatte einen Job; sie konnte es sich leisten. »Und nicht, sie in Schlaf zu wiegen!«
»Wir wollen doch nur, daß Sie die spirituelle Seite mehr betonen«, sagte Bix. »Ist das denn zuviel verlangt?«
»Werde sehen, was ich tun kann. Bye.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
»Wie wär’s mit Essengehen nächste Woche? Zuerst Hummer, dann gehen wir ins ›Tropicana‹ zu Vic Damone.«
»Das hier ist zufällig mein geistliches Amt, Boss. Keine Zeit für Privatvergnügungen. Bye.«
Klick.
Ein geistliches Amt! Dreihundert Dollar die Woche und ein geistliches Amt! Tatsache war, daß der Verleger dauernd in ›Der Himmel hilft‹ hineinpfuschte. Julie, die grundsätzlich bezweifelte, daß der Himmel irgendwie zugänglich war, hatte sich über den Titel geärgert
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