Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
bis sie die Großeltern auffraßen. Das hier war reiner, unverdünnter Irrsinn; das hier hieß aufs Ganze gehen. Julies Wahnsinn würde das kränkelnde Blättchen wieder auf Vordermann bringen. Oder endgültig begraben. »Der Satz da mit der Nostalgie ist unnötig«, sagte er.
    »Und ob der nötig ist! Die Menschheit muß endlich aufhören, in der Vergangenheit zu leben.«
    »Warum nennen Sie sich ›Sheila‹?«
    »Wegen der Anonymität. Ich möchte ein eigenes Leben führen.«
    »Dieses Runtermachen von Heilung und Unsterblichkeit muß natürlich raus. Unsere Leser stehen auf solche Sachen.«
    »Die Ära der Wunder ist vorbei.«
    »Die Ära der Vernunft ist auch vorbei. Wir leben in der Ära des Nonsens. Das ist die redaktionelle Linie.«
    »Um Ihre blöde Linie kümmere ich mich gar nicht.«
    »He, Honey, wollen Sie einen Herausgeber oder nicht?«
    »Und Sie? Wollen Sie eine Kolumne, oder nicht?« Sie warf das schwarze Haar zurück. Eine dünne S-förmige Narbe an der Stirn wurde sichtbar. »Ich kann mir vorstellen, daß der World Bugle interessiert ist.«
    »Schauen Sie, es spielt überhaupt keine Rolle, was ich will oder nicht will. Das letzte Wort hat sowieso Mr. Biacco.«
    Wie vorherzusehen, verweigerte sie ihm ihre Telefonnummer, versprach aber, nächsten Donnerstag anzurufen. Er starrte ihr unverwandt nach, bis sie an Madge Bronston vorbeigerauscht und im Treppenhaus verschwunden war. Sekunden später mühte er sich schon mit der kitzligen Bedienung des Kopierers ab und vervielfältigte eilig Julies Brief. Dieser üppige Mund, diese verschwenderische Haarpracht! Warum waren die Verrückten bloß immer so wahnsinnig sinnlich?
    Wie Bix vorausgesehen hatte, begann Tony das Arbeitsessen mit der Bemerkung, daß »sogar Leichenteile eine weitere Verbreitung haben als wir«. Aber diesmal ging er weiter. Wirklich, wahrhaftig und unwiderruflich sei nun die Zeit gekommen, den Stecker zu ziehen, erklärte Tony.
    »Wir sollten noch das hier probieren.« Bix öffnete seine Mappe. Innerhalb einer Minute las jede Ratte an Bord des sinkenden Schiffes Midnight Moon den Brief der Julie Katz.
    »Schizophren, oder?« meinte Patty Roth, die Vertriebsleiterin.
    »Schwer zu sagen«, sagte Bix.
    »Hört sich an wie paranoide Schizophrenie.«
    »Verrückt oder nicht, ich sage: gebt ihr eine Chance.« Er mußte sie wiedersehen. Er mußte sie einfach wiedersehen.
    »Schaut es einmal so rum an: Der Bugle hat diesen glücklichen Faschisten Orton March mit seinen abscheulichen Editorials, der Comet scheint genau zu wissen, über welche Fernsehstarpenisse die Leute was lesen wollen, aber der Moon – und nur der Moon – bringt das Odem spendende Wort von Gottes zweitem Kind.«
    »Okay, okay, aber noch ist sie nicht soweit«, sagte Tony, »ich nehme an, diesen Mist über unser ›verwirrendes Jahrhundert‹ schmeißen Sie noch raus?«
    »Wollt ich zuerst auch tun. Inzwischen glaub ich allerdings, das gibt ihr doch eine gewisse Glaubwürdigkeit.«
    »Das sind nicht wir. Das ist nicht der Moon.« Tony fuhr mit dürren Fingern durch sein grau werdendes Haar. »Sie soll einfach aufdecken, wie der Himmel wirklich ist, okay, Bix? Und dann vielleicht ein paar einfachere Prophezeiungen probieren.«
    »Vielleicht sollte sie den Leuten helfen, ihre früheren Leben zu erforschen«, sagte Patty.
    »Und Lottotips geben«, meinte Tony.
    »Ich glaub nicht, daß sie da drauf scharf ist«, sagte Bix.
    »He, wozu brauchen wir das Mädchen überhaupt noch, wo wir jetzt das Konzept fix und fertig haben?« fragte Mike Alonzo, Wissenschaftsredakteur der Zeitung. (TOTE ASTRONAUTEN BAUTEN STADT AUF DER VENUS) »Warum lassen wir’s nicht einfach Kendra McCandless schreiben?«
    Schon der Name Kendra ließ Bix das Gesicht verziehen. Kendra McCandless, freie Mitarbeiterin in Astrologie, Astralreisende, Ekstasen-Hökerin. Verrückt war sie außerdem. »Nee, von Kendra kriegen wir nur einen Haufen wirres Zeug über ›Geheimnisse des Universums‹ und so. Halt das übliche Transzendenz-Gefasel. Von Julie Katz kriegen wir… Ich weiß nicht. Noch was dazu.«
    »Den göttlichen Funken?« spöttelte Mike.
    »Sie ist vieldeutig. Delphisch. Könnte funktionieren.«
    »Wir können ihr 300 pro Kolumne bieten«, sagte Tony, »glauben Sie, sie macht’s für das Geld?«
    »Keine Ahnung.«
    »Dann der Titel. Wir brauchen einen Titel.«
    »Hab ich mir noch nichts überlegt. Wie war denn ›Liebe Sheila‹?«
    »Hebt mich nicht aus den Socken. Paul?«
    »›Briefe an

Weitere Kostenlose Bücher