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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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mich gar nicht überraschen, wenn ich der einsamste Mensch auf der ganzen Welt wär. Nachdem mein Mann Larry verstorben ist, ging alles irgendwie bergab. Gibt es denn keine Männer in Indiana, die an einer flotten, kleinen Frau Gefallen finden, die erst vierundfünfzig ist und kochen kann wie der Teufel? Ich leg eine Karte von unserem County bei. Vielleicht stoßen Sie Ihren Finger drauf und, presto, wohnt genau dort jemand, der mich liebt. – SOUTH BEND-WITWE.
    LIEBE WITWE: Dieser Antwortbrief kommt nicht im Moon, und wenn Sie je den Inhalt ausplaudern, kriegen Sie gewaltige Schwierigkeiten!
    Gehen Sie zu den Parkview Terrace Apartments, Gebäude G, Nummer 32. Alex Filippone ist ein vierundsechzigjähriger Motorradverkäufer. Er war nie verheiratet. Er begeistert sich für Cole Porter, Duplicate Bridge und das Indiana Pacers-Basketball-Team. Nehme an, ihr zwei werdet glänzend miteinander auskommen.
     
    Weil RUINIERT in Newark oder SEELENQUAL in Camden vielleicht nur auf die Gelegenheit warteten, Sheila zu entführen und zum Wundertun zu zwingen, holte Julie ihre Post nie beim Moon ab. Sie ließ sie sich auch nicht auf ›Angel’s Eye‹ nachschicken: der Postbote konnte ein Fan von ihr sein. Sie bekam ihre Briefe unter Umständen, die eher an eine Kokaintransaktion erinnerten; im Schutz einer dunklen Sonnenbrille traf sie ihren Redakteur im neblig düsteren, verlassenen Aquarium am Central Pier.
    »Wollen Sie nicht mit mir ins Kino gehen?« fragte Bix. Wankend unter der Last des Segeltuch-Postsacks auf seiner Schulter trat er aus dem Schatten. Seine Verliebtheit wurde von Woche zu Woche lästiger und pubertärer: Busenstreicheln, Hinterntätscheln und alberne Grußkarten in ihrer Post.
    »Ich hab es Ihnen schon gesagt – mir liegt nichts an Rendezvous.«
    »Einen lausigen Film!«
    »Nein.«
    Julie stellte den Sack hochkant und verteilte die Umschläge nach den Rückantwortadressen auf zwei Stapel: auf den einen die normalen Leser – auf den anderen die Nutznießer ihrer ferngesteuerten Wunder. Knapp zehn Prozent der Briefe konnte man als regelrechte Haß-Post bezeichnen – Leute, die sie in den Briefen als ›Kommunistin‹ nannten, oder ›Humanistin‹, ›babylonische Hure‹, oder ›Hure der Vernunft‹, ›Antichrist‹, ›Inkarnation des Teufels‹. Zum Teil hatte ihr Geschlecht solche Reaktionen provoziert – ein Mann aus Oklahoma City schickte einen Hundepenis in einer Zigarrenkiste (»In der Bibel steht, Gott ist ein Mann – also können Sie das da sicher brauchen.«) –, der überwiegende Teil der Haß-Post kam aber von Leuten, die sich darüber ärgerten, daß Sheila niemals Hausbesuche machte. Liebe Sheila: Mein(e) (Frau, Ehemann, Freundin, Freund, Kind) ist (krank, süchtig, verrückt, selbstmordgefährdet, liegt im Sterben). Bitte, kommen Sie so schnell wie möglich! Sheilas vorgedruckte Antwort war knapp und bündig: Wenn ich mit Hausbesuchen anfinge, hätte ich keinen Zeit mehr für irgendwas anderes.
    Sie schnappte sich einen Umschlag vom ersten Stoß und riß ihn auf. »Bix, sehen Sie nur, dieses sexuell belästigte kleine Mädchen in Albany schreibt, dank meiner Hilfe hat sie schließlich Mut gefaßt und ist weggelaufen… Und hier schreibt VERSÖHNT in Duluth, er kann nun seinen Zwergwuchs akzeptieren. Vielleicht nehmen Sie mich nicht ernst, vielleicht nimmt Phoebe mich nicht ernst, aber diese Leute nehmen mich ernst!«
    »Ich hab in meinem ganzen Leben nie jemanden ernster genommen. Das sagt Ihnen Bix Constantine, der Voltaire von Ventnor Heights – da haben Sie auch gleich den Bastard mit den Grußkarten.«
    »Die letzte war süß! Ich hab noch nie Stachelschweine bumsen sehen.« Sie riß einen leichtgewichtigen Umschlag auf. Ein schreiend roter, selbstgestrickter Schal fiel heraus. Wieder mal ihr größter Fan, diese neunzigjährige Großmutter in Topeka.
    »Grußkarten sind ein großer Schritt nach vorn für mich.« Bix legte ihr seine plumpe Hand auf die Schulter, wo sie liegenblieb wie ein liebestoller Papagei.
    »Hören Sie, meine Liebe, Tony ist richtiggehend süchtig nach Statistik. Lassen Sie uns doch nächsten Samstag ein paar Hummer auseinandernehmen – dabei unterhalten wir uns dann, wie wir Ihre Attraktivität steigern können!«
    Sie entfernte die unverschämte Hand. Sein widerliches Benehmen stieß sie ab, obwohl sie seinem ewigen Nihilismus einen gewissen Charme zugestand; dieser unerschütterliche, fast prahlerische Fatalismus. »Ich esse keine Meerestiere.

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