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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Pops Buch über Vergnügungsparks hatte Frederick A. Pickard seine Schöpfung als ›Space Tower‹ tituliert, doch Julie mußte heute den Planeten Erde nicht verlassen; sie brauchte nur eine göttliche Perspektive. Ihre Kiemen bebten, sie zitterte unter der Macht der Göttlichkeit. O ja, sie war bereit! Reverend Milks Armee mochte Benzin, Heckenscheren, Strategie und die nötige Rechtgläubigkeit haben, aber Julie Katz hatte ihre Gene!
     
    Obwohl das Gegengewicht längst verschwunden war, hatte sie keine Mühe, das Observatorium unter Kontrolle zu bringen. Kein Bedienungspersonal nötig, kein wichtigtuerisches Gefuchtel – bloßes Kopfnicken sprengte den Rost und setzte die Kabine in Bewegung.
    »Was, zum Teufel…?« Bix staunte. Sie grinste. »Aber sicher, Baby doll! Du kannst deinen Augen ruhig trauen!« Unter metallischem Kreischen glitt die Kabine den Turm hinab.
    »Machst du das?« keuchte der Verräter. Er starrte sprachlos auf das Wunder.
    »Ich bin Gott und Schwerkraft und Quantenmechanik. Ich bin das Mädchen aus der Ektogenesemaschine.«
    »Du läßt das laufen?« Seine Augen zitterten wie Eier im Glas, die nackte Brust bebte. »Tu mir das nicht an, Julie, ich dulde das nicht! Du hast keine Kräfte!«
    »Ich habe Kräfte, Sweethart!«
    »Hör auf, Julie!« Bix ballte die Faust, als ob er eine Schlange erwürgen wolle. »Das Universum muß irgendeinen Sinn haben. Tu mir bitte das nicht an!«
    Er zitterte ob der irren Freveltat. Sie ließ ihn am Pier zurück und rannte zum Observatorium. Innen herrschte Chaos – verrottete Kissen, Millionen Glassplitter. Keine Frage, da würde sie nicht reingehen. Eingriffe dieser Größenordnung müssen sich im Freien abspielen. Das Rote Meer hatte sich am hellen Tag geteilt, Jesus hatte Lazarus inmitten einer Volksmenge zum Leben erweckt.
    Sie kletterte auf das Dach und stampfte mit dem Fuß auf. Langsam und stetig begann das Observatorium sich zu erheben. Zuerst war es, als ob der Turm selbst sich bewege, wie eine gargantueske Injektionsnadel durch New Jersey hineinstoße, um dem Planeten das Blut abzuzapfen. Höher und höher stieg sie hinauf. Nur noch ihr Magen war da, der übrige Körper bloßes Rudiment, das um die Feinschmeckerspaghetti vom Vorabend kreiste. Das Strömen heißer raucherfüllter Luft im Gesicht. Aschegesprenkelte Seemöwen flogen vorbei.
    Die Szenerie ihres ganzes Lebens lag vor ihr. Longport im Süden, Ort ihrer Empfängnis. Im Norden dann Brigantine Point und Angel’s Eye. Sie konnte die Absecon-Bucht erkennen, die Volksschule, das Bürogebäude, wo der Moon untergebracht, den Sumpf in der Nähe von Dune Island, wo der Winnebago versunken war.
    Die südliche Hälfte von Atlantic City ein einziger riesiger Feuersturm – brennendes Monopolybrett von Riesenmaß. Eben trieben Flammenkeime über die Furt und schlugen Wurzeln in Chelsea Heights und Ventnor. Mit ein bißchen Glück konnte sie noch Margate und Lonport retten, auf jeden Fall aber den oberen Teil der Stadt, von der Bucht bis zu den Casinos.
    Die Sonne kündigte ihre Ankunft an, hüllte den Turm in Lichtbänder, ihren Körper in eine goldene Robe aus Licht. Schon hatten sie die traumatisierten Überlebenden am Strand entdeckt. Dann ein Wald hochgereckter Arme und Finger. Wer war sie? Wer war diese seltsame, strahlende Frau am Himmel?
    Der Ozean gehörte ihr, spektakuläres Vermächtnis der Mutter an ihre Tochter. Hier bist du, Julie, nun nimm es an dich, mein nasses Meisterstück! Unten am Turm versammelte sich eine Menschenmenge. »Ihr Wogen, zu mir!« schrie sie. Kochender, brausender Ozean. »Ihr Wogen, zu mir!« Fingerspitzen in brennendem Licht. »Wogen!« – Echo der staunenden Menge.
    Und die Wogen kamen herbei. Wie eine Symphonie dirigierte Julie den Atlantik. Die majestätisch aufschwellenden Wasser gehorchten dem Wink ihrer Hand; voll Eifer, ihren Befehlen zu folgen. Gottheit entsproß ihren Lenden. »Ihr Wogen, zu mir!« All dies ergoß sich nun; lange unterdrückte Göttlichkeit entströmte der Nase wie Blut, den Brüsten wie Milch, den Kiemen wie Lymphe, der Vagina wie die schlüpfrigen Feuchtigkeiten des Geschlechts. Und siehe, Sheila nahm die breite Straße. Ihre Geisterfinger packten die größte Woge und formten daraus einen riesigen, phallischen Strahl, und nun wölbte der Strahl sich zum Ufer und schwemmte die Apokalyptiker den Boardwalk hinunter. Und sie spülte die fiebrigen Feinde in die Seitenstraßen. »Wogen!« Benzinkanister trieben fort, Heckenscheren

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