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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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warfen hellgelbe Blütenkränze auf das Deck der Pain. Wyvern salutierte, Hochrufe brandeten über den Hafen; über dem Labyrinth der Kais flatterten Transparente.
    WILLKOMMEN, JULIE!
    AVE KATZ!
    HEIL DIR, TOCHTER GOTTES!
    »Könntest du ihnen nicht eine Kußhand zuwerfen?« fragte Wyvern. »Sie würden sich so drüber freuen!«
    Eine von vier weißen Pferden gezogene Kutsche rumpelte auf den mittleren Pier.
    »Es gefällt mir immer mehr«, sagte Julie tonlos. Sie sandte verstohlen drei Kußhände zum Ufer. In der Hölle? Gefallen? War das wahr? Auch nur annähernd wahr? Gab es überhaupt innerhalb oder außerhalb der Wirklichkeit irgendeinen Ort, von dem sie sagen konnte: hier bin ich daheim?
    Anthrax ruderte sie im Wirbelwind aus Konfetti und Rosenblättern ans Ufer, wo sie die samtgepolsterte Kutsche bestiegen. Der Kutscherdämon, in dessen Physiognomie sich verschlagener Wieselblick und krötengleiche Gesichtsfarbe vereinten, ließ über den Rössern die Peitsche knallen.
    Da ging’s dahin durch brennende Schwefelwüsten; da ging’s durch Wälder – die Bäume fleischlose Hände gigantischer Gerippe; über steinerne Regenbogen ratterten sie, die sich über Abgründe voll zuckender Haufen verdammter Leiber wölbten; umrundeten ausgedehnte, Mondkratern ähnliche Trichter, entstanden durch den Aufprall gefallener Engel, wie Wyvern behauptete.
    Nach einer Stunde kam ein Marmorpalast in Sicht. Schlanke Türme erhoben sich wie Masten phantastischer Fregatten in den raucherfüllten Himmel. Wimpel an den Zinnen knallten im heißen Wind des Hades. Das Fallgatter im Haupttor wie ein Leopardenoberkiefer.
    »Mit den Quadern der Fundamente hat man früher Hexen zu Tode gequetscht«, erklärte Wyvern, als sie in den Innenhof einfuhren. Mit zeremonieller Geste öffnete der Dämon die Tür, und Wyvern stieg aus. »Die Wandteppiche waschen wir mit Waisentränen. Die Mosaikböden sind Einlegearbeiten aus den Zähnen verhungerter Äthiopier.«
    Er bot ihr seinen schuppigen Arm. Julie sprang herunter, nahm das nebelhaft klumpige Ambiente ihres neuen Heims in sich auf; die Luft roch nach in flüssigem Asphalt gekochtem Müll.
    »Besuch mich in der Hauptstadt, wann immer du willst«, sagte der Teufel.
    »Die Hölle hat eine Hauptstadt?«
    »Natürlich hat die Hölle eine Hauptstadt. Glaubst du, wir sind nur ein Haufen Anarchisten? Glaubst du, ich steck nicht bis zum Arsch in Politik und Bürokratie? Danket Gott für die Computer – mehr kann ich dazu nicht sagen!«
     
    Die Hölle war nicht vollkommen, aber im Vergleich zu New Jersey das reine Paradies. Sie konnte jetzt leben. Sie war frei. Keine Beleidigungen von Georgina. Keine Streitereien mit Bix, keine Suche nach Phoebes Alkoholika, keine besoffenen Wracks, die ums Haus herumkrochen. Jeder ihrer Wünsche war für Anthrax Befehl. Als sie törichterweise vom Tauchen in der Absecon-Bucht sprach, baute der diensthabende Dämon ein mit natürlichem Schwefel geheiztes Schwimmbad im Keller. Sie erwähnte die Ärmlichkeit ihrer Garderobe, und er füllte die Wandschränke mit der neuesten Mode. »Ich hab mir früher immer sehr gerne Filme angeschaut«, sagte sie, und sofort installierte er einen 35-mm-Projektor und einen bis zur Decke reichenden Stoß von Busby Berkeley Musicals und Komödien der Marx Brothers.
    Die Schwermut begann langsam und sanft – eine Erkältung, von einem schüchternen Virus verursacht. Wo mochte Phoebe jetzt sein? In Hollywood, wo sie wahrscheinlich die Träume von Cinéma-vérité-Sex schon begraben hatte und an irgendeinem Schreibtisch bei der Paramount Kokain schnupfte. Und dann Bix. Sie hoffte, daß er sie vermißte – ihr wirkliches Selbst, nicht die Dea ex machina, die ihn am Tag des Billy-Milk-Überfalls so verwirrt und erzürnt hatte. Hätten sie geheiratet? Sie nahm es an; sie paßten in so vielen Dingen zusammen, derselbe Skeptizismus, dieselbe rundliche Figur. Sie stellte sich vor, wie sie von Bix schwanger wurde, einen süßen, runden, rationalistischen Sprößling im Schoß trug.
    Fiebernd vor Sehnsucht war sie, gleichzeitig starr vor Langeweile. Julie beschloß, auf Entdeckungsreisen zu gehen.
    Auf dem mittleren Kontinent gab es etwas Grundlegendes und Allgegenwärtiges: Feuer. Überall Feuer. Feuer, das die schützenden Häute vom Nervensystem der Verdammten wegfraß und sie der reinen Qual auslieferte. Julie stieg in Seidenbluse und ländlichem Rock auf die gezackten Felsen und wurde Zeuge, wie die Höllenengel Gefangene an Baumstämme

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