Die eingeborene Tochter

Gewölbe reflektierte den Feuerschein von tausend brennenden Inseln; die Pain fuhr durch ewiges, rosiges Dämmerlicht.
    Gute Vorsätze, mußte Julie erkennen, gehörten zu den harmloseren Dingen, mit denen der Weg zur Hölle gepflastert ist. Die Seefahrtswege, die sich durch den Archipel hindurchwanden, mit totem Thunfisch vollgestopfte dunkle Abwasserkanäle, die Inseln selbst erinnerten an Buckelwale, die Victor Frankenstein zusammengenäht hatte. Was Wyvern hier tat, war so vorhersehbar; es deprimierte sie. Schon als kleines Kind hörte man, daß die verurteilten Toten in der Hölle gräßlich bestraft werden – und genau das wurde auf jeder Insel geboten. Sie stellte den Feldstecher auf einen Plateau ein und sah ein gutes Dutzend nackter Männer wie Prometheus an Felsen geschmiedet; wilde Panther rissen ihnen die Bäuche auf und zerrten die durchweichten Eingeweide die Abhänge hinunter wie Kätzchen, wenn sie ein Wollknäuel abwickeln. An den Ufern der Nachbarinsel waren lange Reihen von Sündern bis zum Hals eingegraben, die über den Sand herausragenden Köpfe wie vergessene Strandbälle; Hummerzangen in den Klauen krochen gefräßige Hummer aus der Brandung, brachen die Schädel auf, butterten die offenliegenden Gehirne und delektierten sich daran. Auf anderen Inseln wurden die Verdammten gestreckt und gevierteilt. Lebendig abgehäutet. Auf Felsen zerschmettert, auf Pfähle gespießt, von Hornissen ausgehöhlt. Und endlos war die Qual, immer wurde der zerfleischte Körper des Opfers wiederhergestellt, und die Folter begann von neuem. Das Motto der Hölle war nicht wie bei Dante: IHR, DIE IHR EINTRETET, LASSET ALLE HOFFNUNG FAHREN, sondern bloß: WAS HABEN SIE DENN ERWARTET?
    Eingreifen? Retten? Wann immer ihr sowas einfiel, brauchte sie sich nur das hydragleiche Wesen ewiger. Verdammnis in Erinnerung zu rufen: wenn der eine Todeskampf zu Ende ging, begann sofort der nächste; Julies Kräfte – abrakadabra, dein Kopf ist wieder ganz; alakazam, deine Wunde ist geheilt – bedeuteten hier unten gar nichts. Außerdem waren diese Seelen schuldig, wie ihr Wyvern versichert hatte. Auf der Erde litten die Heiligen und die Sünder; in der Hölle war das anders. Wyverns Reich mochte eine Welt endloser Grausamkeit und entsetzlicher Brutalität sein, war aber, so seltsam das auch klang, auf einzigartige Weise gerecht.
    Gerecht? So sagte der Teufel, und so sagten die Theologen, und doch… Je näher die Pain ihrem Ziel kam, desto weiter schien sie von der Vernunft abzukommen. Die Ungerechtigkeit wurde mit jedem Tag immer willkürlicher; uferte immer mehr aus. Julie konnte noch verstehen, warum es eine Insel für Atheisten gab. Ebenso eine Insel für Ehebrecher, Okkultisten, auch eine Insel für Steuerhinterzieher. Und je nach persönlicher Vergangenheit Bereiche für Unitarier, Engelmacherinnen, Sozialisten, Nuklearstrategen und sexuelle Abweichler aller Art. Das hatte noch einen gewissen Sinn. Aber warum eine Insel für irische Katholiken? Und eine für schottische Presbyterianer? Für Christian Scientists, Methodisten, Baptisten?
    »Das ärgert mich!« sagte sie, breitete vor Wyvern eine nautische Karte aus und zeigte auf die Insel für die Mormonen.
    Der Schwanz des Teufels, eine Art gummielastische Harpune, richtete sich auf. Er packte das stachlige Ende. »In der ganzen Menschheitsgeschichte hing die Höllenfahrt von einem – und nur von einem – Kriterium ab.« Er gab der Mormoneninsel einen liebevollen Klaps. »Du mußt zu einer Gruppe gehören, von der irgendeine andere Gruppe glaubt, daß sie auf dem Wege hierher ist.«
    »Das ist pervers.«
    »Ist aber Gesetz. Ob du ein Betrüger, Sklavenhändler oder Herman Göring selber bist, spielt keine Rolle – du kannst meinem Reich entrinnen, wenn sich nie jemand vorgestellt hat, daß du drin bist.«
    »Wie entsetzlich unfair!«
    »Natürlich ist es unfair. Was glauben Sie denn, wie das Universum funktioniert, Eleanor Roosevelt?« Wyvern küßte seinen Schwanz, saugte an den Stacheln. »In der Quantenrealität gibt es keine Überprüfungen und Bilanzen. Es gibt keine kosmische Bürgerrechtsbewegung irgendwo da draußen.«
    »Du lügst doch!«
    »Nicht in diesem Fall. Die Wahrheit ist zu köstlich.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Methodist irgendwen verdammen sollte. Warum…?«
    »Wie alle Protestanten lehnen die Methodisten die wahre Kirche ab. Nur durch die apostolische Nachfolge kann ein Mensch der geistigen Anwesenheit Christi auf Erden teilhaftig