Die eingeborene Tochter
banden und lebendig verbrannten. Am nächsten Tag stieg sie in Safarijacke und Designerjeans in die glühenden Schluchten der Hölle hinab und sah, wie die Verdammten in Sümpfen aus siedendem Durchfall gekocht wurden. Es war schrecklich, anzusehen, wie aus der riesigen Menge nie etwas anderes wurde als die Summe von Individuen – einzelne Frauen mit bestimmtem Haarschnitt, einzelne Männer mit verschiedenen Gesichtern, sogar einzelne Feten, jeder mit eigenem Geruch, ein Amalgam von Qual und Erbsünde. Wenn sie ihnen nur hätte helfen können. Aber das war sinnlos – schnipp, deine Verbrennungen sind geheilt, schnapp, deine Brandblasen sind vorläufig weg: na und? Sie hatte eben nur zwei Hände und ihre Göttlichkeit – zwei Hände und eine Göttlichkeit gegen die ganze Verdammnis.
So weit Julie das erkennen konnte, war Eisenschmelzen der Hauptindustriezweig der Hölle. Unter den Peitschenhieben der Höllenengel fanden sich nackte Männer und Frauen zu Arbeitsgruppen zusammen. Für manche bedeutete Verdammnis, die Höllenberge mit Spitzhacken auszuhöhlen und das Erz in Kipploren zu schaufeln. Andere mußten die Loren auf Schmalspurgleisen schieben. Wieder andere mußten Kalk und Kohle in die Hochöfen füllen: Kalk, der ihnen die Haut verätzte, Kohle, die ihnen die Lungen Versehrte. Das Team am Ende der Kette zog Schlacke und geschmolzenes Metall aus den Öfen, führte das Roheisen mit Schubkarren zu einem siedendheißen Fluß und kippten es hinein, wo es sich auflöste, langsam, aber unaufhaltsam in die Landmasse zurücksickerte und dort wieder gefördert wurde – ein geschlossener Kreislauf.
Und immer die Hitze, die den Gefangenen das Wasser wie den Saft aus einer Weinpresse trieb. Hier schlitzten die Leute sich das Handgelenk auf und schlürften ihr eigenes Blut, nur um ein bißchen Feuchtigkeit auf der Zunge zu spüren. Hier würde der Vater den erstgeborenen Sohn für ein Cocktailglas Pisse erschießen.
Bei näherer Betrachtung erwies sich das Schild, das jeder Verdammte an einer goldenen Kette um den Hals trug, als dicke Asbesttafel. 23. März 1998 – 19:48 stand auf dem Schild einer jungen Philippinin, die ewig mit 250 Grad heißem Hühnerfett verbrüht wurde. Auf dem Schild eines alten Schweden, der in weißglühenden Stacheldraht gekleidet war, stand: 8. Mai 1999 – 18:11. An einem Hispano-Kind, das eine unter Strom stehende Rutschbahn niedersauste, las sie 11. April 2049 – 10:35. Totenscheine? Nein, diese Daten lagen in der Zukunft, ein Umstand, der die Verehrung der Gefangenen für diese Schilder zu einem vollkommenen Rätsel machte – sie führten die Schilder in regelmäßigen Abständen an die blasigen Lippen und küßten sie. Die Zukunft, dachte Julie, sollten diese Menschen doch am allerwenigsten anbeten.
Jeder verdammt? Konnte das sein? Hatten nur Enoch, Elijah, der heilige Petrus und Pop jene Quantenwirklichkeit erreicht, die man gemeinhin Himmel nennt? Wenn sie sich ganz verzagt fühlte, spürte sie, daß es Wahrheit war. Absurd, aber wahr. Jeder verdammt – auch Howard Lieberman, der eben einen Schubkarren am dampfenden Ufer des Roheisen-Flusses entlangschob.
Sie blinzelte. Ja. Er. Ihr alter Freund, schweiß- und blasenbedeckt, nackt, als hätten sie sich eben geliebt. Randlose Drahtbrille. Schmale Lippen. Wie früher. »Howard?« Seine Haut sah aus wie ein alter Linoleumfußboden, ganze Fetzen waren abgerissen. Eine Korona endloser Qual umgab sein ganzes Wesen. »Howard Lieberman?«
Er blieb stehen und setzte den Schubkarren ab. »Julie? Bist du’s wirklich? Julie Katz?« Seine Stimme zitterte, als ob er durch einen elektrischen Fön spräche. Sie nickte, schnippte einen Schwefelfleck vom Rock. »Was ist mit dir passiert?«
»Schiffsuntergang«, stöhnte er. Funken tanzten um ihn wie Fliegen um einen Kadaver. »Auf der Rückfahrt von den Galapagos-Inseln.« Die Funken flogen gegen die Brust, prallten vom Asbest-Schild ab. 3. Oktober 1997 – 11:18. Nach ihrer Uhr lag dieser Zeitpunkt bloß noch 48 Stunden in der Zukunft.
»Was bedeutet das Schild, Howard?«
»Hast du etwa keins?« Er klang beunruhigt.
»Ich bin nicht tot.«
»Wirklich?«
Julie nickte. »Hm-hmm.«
»Hast du deshalb Kleider an?«
»Nun, ja…«
»Aber warum bist du…?«
»Ich konnte die Erde nicht mehr aushalten.«
»Du bist freiwillig hier!?«
»Es gibt da was in meiner Familiengeschichte, von dem du nichts weißt.«
»Und was ist das?«
»Ich bin in den Kosmos eingestimmt, Howard. Ich bin eine
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