Die eingeborene Tochter
werden. Das ist doch elementar, Julie.«
»Aber die Katholiken. Sie blieben der Kirche treu…«
»Machst du Witze? Die mit ihrer Marienverehrung, Dreieinigkeit, Fegefeuer, Ablässen? Wie unbiblisch soll es denn noch sein?«
»Mein Vater war ein guter Mensch, und er…«
»Die Juden? Jetzt mach mal einen Punkt, Julie. Die Juden? Sie nehmen Gottes Sohn nicht als Erlöser an, und noch viel weniger praktizieren sie die Heilige Taufe. Hör mir bloß auf mit den Juden!«
»Also gut – ich geb’s auf. Wer wurde gerettet?«
Wyvern langte unter eine seiner Schulterschuppen und zog einen verirrten Ohrwurm heraus. »Der Himmel ist nicht eben übervölkert.«
»Hab ich mir gedacht. Eine Million?«
»Kalt.«
»Weniger?«
»Hm-hmm.«
»Zehntausend?«
»Weniger.«
»Tausend?«
»Du bist eine Optimistin!« Wyvern zerquetschte den Ohrwurm mit einem Fingerschnippen. »Vier.«
»Vier?«
»Vier Menschen gibt es im Himmel.« Mit gespielter Demut senkte er die durchsichtigen Lider. »Als erste Enoch und Elijah. Da konnte ich nichts machen – steht so in der Schrift. Dann natürlich der heilige Petrus. Und schließlich Murray Katz.«
»Pop? Er ist doch Jude!«
»Ja, aber denk an seine Beziehungen! Von allen Wesen im ganzen Kosmos war er als einziger erwählt, Gottes eingeborene Tochter auszutragen.«
Julie rollte die obszöne Landkarte zusammen. Pop war gerettet, großartig, aber warum waren so viele andere verloren? Die Seekrankheit wurde schlimmer, tausend verbrecherische Ameisen verunstalteten ihre Magenwände mit Graffiti. »Das ist alles furchtbar deprimierend, Andrew. Es nimmt der irdischen Existenz jeden Sinn.«
»Au contraire, Julie! Die Verdammnis gibt der irdischen Existenz erst Sinn. Genieße das Leben, solang du es hast, oder? Iß, trink und sei fröhlich, denn morgen machst du einen Quantensprung.«
»Gandhi?« fragte sie mit schwacher Stimme.
»Ein Hindu.«
»Martin Luther King?«
»Sein Sexleben.«
»Paulus?«
»Die Feministinnen wollten seinen Arsch.«
»Die Madonna?«
»Ein Rockstar.«
»Nein, die Madonna!«
»Katholikin.«
»Jesus?«
»Als ich ihn zuletzt sah, arbeitete er in einem Hospiz in Buenos Aires. Ich glaube, Jesus können wir als im Einsatz vermißt abhaken.«
Freitag, 15. August 1997. Zuerst kamen die Feuerberge in Sicht, große Buckel aus flammendem Treibeis. Dann erschienen Seeungeheuer an der Oberfläche, graufleischige Massen mit Tentakeln und unzähligen Augen. Sie begleiteten die Pain auf ihrer Fahrt zum Hauptkontinent, ihre Rückenflossen schnitten wie Klüver durch den Himmel.
»Rohentwürfe«, erklärte Wyvern und zeigte über das windige Deck auf die mißgestaltete Eskorte. »Kein Wunder, deine Mutter mußte das alles in nur sechs Tagen zusammenschustern – sie hat ihre Fehler gemacht!«
Anfangs erschien der Kontinent Julie nur als schwarzer, brennender, in der Ferne glühender Barren, aber dann wurde er größer, zeigte senkrechte Klippen und weißglühende Hügel. Wyverns Engel speisten von den Seeungeheuern und bekamen solche Kraft, daß sie die Pain mit mindestens fünfzig Knoten in den Hafen bliesen. Die Hölle, mein Gott. Auf gut Glück hatte sie den ganzen Weg zur Hölle zurückgelegt.
Der Anker kroch mühsam übers Deck und schleuderte sich selbst über die Reling.
Der Hafen der Hölle vibrierte vor Geschäftigkeit, rasselnder Lärm, ein Summen wie in einem Asyl für verrückte Bienen. Dutzende Barkassen und Frachter kreuzten durch den Hafen, umrundeten Bojen mit Glockengeläut und Gonggeschepper, ein Glockenspiel, fand Julie, das besser zu einem Sonntagmorgen in einem Dorf in New England gepaßt hätte als zu einem Freitagnachmittag in der Hölle. Riesige Ladekräne zeichneten sich am anthrazitfarbenen Himmel ab, ihre hohen Stahltürme bewegten sich ruckartig wie Brontosaurierhälse, während sie Container aus den vertäuten Schiffen hochzerrten.
»Was importierst du denn?« fragte Julie.
»Nun, was glaubst du?«
Noch während er sprach, tönte von den Containern Verzweiflungsgeheul herüber – katholisches, protestantisches, orthodoxes, jüdisches, buddhistisches, atheistisches Verzweiflungsgeheul.
Der mittlere Pier war eine Halbinsel aus schwarzem rissigen Granit und wimmelte von fledermausgeflügelten Engeln, geschuppten Teufeln und schweinischen Kobolden. »Heil Luzifer!« brüllten die Sykophanten. Eine riesige Menge fuhr ihnen zur Begrüßung entgegen, haufenweise Dämonen in Boote und Auslegerkanus gepfercht. Sie schrien »Hosianna!«,
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