Die eingeborene Tochter
deiner Quantenfluktuationen.«
Er schien erst auf diese Behauptung antworten zu wollen, sagte dann aber nur: »Wenn du etwas über die Schilder erfahren willst, komm in zwei Tagen wieder.« Er preßte das Schild an die Lippen und küßte es inbrünstig, als sei es Newtons Lieblingsprisma oder ein Spielzeugmagnet aus dem Besitz Albert Einsteins.
»Um 11 Uhr 18?«
»Früher. Man braucht eine Stunde, bis man dort ist.«
»Wo denn?«
»An die Arbeit, Sünder!« schnauzte ein Engel.
Sofort rollte sich die Peitschenschnur auf wie die Zunge eines Froschs, der sich eine Libelle schnappt. Howard ging in die Knie; stemmte sich gegen den Schubkarren. Wieder schlug der Engel zu, und wieder, die Peitsche schnitt in seinen Rücken. Tante Georgina, wenn sie einen Karton Joy Buzzers aufschlitzte. Glühende Funken setzten sich in die Wunden und ließen das frische Blut aufzischen.
Julie wich zurück und drehte sich um. Komm in zwei Tagen wieder – eine Falle? Es hörte sich ganz danach an. Sie würde kommen, und Howard würde sie bitten, ihm die Protektion zu verschaffen, die sie hier offensichtlich genoß. Er würde auf seine gesottenen Knie fallen, die verkohlten Hände ringen und sie um eine Wiedergeburt anflehen.
Sie hastete nach Hause, sah sich ›Eine Nacht in der Oper‹ an und schwamm zwanzig Längen auf dem Grund des Pools. Sie lebte jetzt ihr eigenes Leben, sagte sie sich, und zwar weit eher als in Atlantic City. Beneidenswert; Einsiedlerhöhle mit Zimmerservice. Sie schuldete Howard Lieberman gar nichts.
Zwei Tage später kam sie gerade rechtzeitig am Roheisen-Fluß an: Ihr alter Freund zeigte das Schild eben dem Oberaufseher, einem teiggesichtigen Engel mit AK 41-Sturmgewehr. Er war so von wilder Erwartung erfüllt, daß er sie kaum bemerkte. Der Engel nickte, Howard sprang fort, hüpfte über einen Schwefel-Highway und sang ein Medley alter Beatles-Songs; ›Octopus Garden‹ ging nahtlos in ›Let it be‹ über.
Gott allein wußte, was die Jahre beim Eisenfördern aus Howard gemacht hatten, wieviel Knochen gebrochen, wie viele Adern in seinem Herzen geplatzt waren. Aber wenn er nun stolperte und hinfiel, stand er sofort wieder auf und setzte seinen Lauf fort, humpelte voller Eifer durch Täler im Todesschatten und über brennende Hügel. Nichts konnte ihn entmutigen, nicht der höllische Säureschnee, nicht Moskitos so groß wie Vögel oder Sturmtruppen-Engel, auf die sein Schild wie ein zaubrisches Amulett wirkte, denn sie ließen ihn jedesmal passieren. Julie hatte Mühe, ihn einzuholen. »Glaubst du immer noch, daß die Wissenschaft alle Antworten hat?« fragte sie. »Und daß wir bloß noch nicht alle Wissenschaft haben?«
»Natürlich«, sagte Howard. »Schau dir doch diesen Ort hier an, Julie – unfaßbar, absurd. Offensichtlich haben wir noch nicht die ganze Wissenschaft.«
Bei der Höhle gab es keine Schmalspurgeleise, wahrscheinlich war sie nur eine weitere höllische Eisenmine. Dutzende nackter Menschen standen davor im goldenen Licht, das aus der Öffnung fiel. Der kollektive Gestank brannte in der Nase. Howard nahm den Platz am Ende der Warteschlange ein. Sie ließ Howard stehen und ging direkt zum Eingang, wo ein zerbrechlich aussehender Japaner mit einem 10-Uhr-58-Schild angstvoll wartete. »Der Nächste!« schallte eine männliche Stimme aus dem Innern. Der Japaner stürzte in die Höhle, wie ein Staffelläufer bei der Übergabe. Julie schaute auf die Uhr. Genau 10 Uhr 58. Um 10 Uhr 59 rückte ein rothaariger Teenager vor; das Gesicht ein einziges Wirrwarr aus Akne und Schwefelbrandnarben. Sechzig Sekunden später tauchte der Japaner wieder auf, das Schild war weg. Er lächelte so zufrieden, wie es Julie noch nie bei einem Menschen gesehen hatte.
Sie trat über die Schwelle.
Der steinerne Innenraum war nur spärlich möbliert – ein flacher Granitblock diente als Tisch, eine Kerosinlampe auf einem Stalagmiten und ein schwarzbärtiger, etwa dreißigjähriger Mann auf einem Segeltuchstuhl. Ein schmaler, murmelnder Bach mit hellem Wasser lief quer über den Fußboden wie eine Silbererzader. »Der Nächste!« rief der Bärtige. Julie zog sich in den Schatten zurück. Der Junge mit dem 10-Uhr-59-Schild brach auf dem Steintisch zusammen, woraufhin der Bärtige ein kurzes Ritual ausführte. Er tauchte einen ausgehöhlten Kürbis in den Bach und spritzte die Hälfte auf den Kopf des Gefangenen.
»Entschuldige.«
»Ja?« Der Wasserspender hielt den halbvollen Kürbis an die ausgedörrten Lippen
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