Die Eingeschworenen Raubzug
niedriger Anbau, der zu dem herrschaftlichen Hauptgebäude gehörte.
Einar verschwendete nicht viel Zeit. Mit einem Fußtritt öffnete er die Tür und stürzte hinein, den Sax in der Hand.
Martin schrie auf und fiel von seinem hohen Hocker. Der Junge, der bei ihm war – es war nur einer –, wurde bleich vor Angst und tastete nach dem Schwert, das aber zu weit entfernt lag. Valknut nahm es beim Gehänge und ließ es verführerisch vor seinem Gesicht tanzen.
»Martin«, sagte Einar, als begrüßte er einen lang verlorenen Freund. Der Mönch stand vom Boden auf, was ihm Zeit gab, seine Fassung wiederzuerlangen. Er glättete seine braune Kutte – neu, wie ich feststellte – und hob den Hocker auf. Er lächelte.
»Einar. Und der kleine Orm. So viele vertraute Gesichter. «
Der Junge sah zu mir her und sein blasses Gesicht wurde rot vor Zorn, als er meinen Namen hörte. Mein Vater bemerkte es ebenfalls. »Welcher meiner Neffen bist du?«, wollte er wissen.
Der Junge fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Steinkel.«
»Wo ist dein Bruder? Björn, so heißt er doch, oder?«, fragte ich und er zuckte mit den Schultern. Auf einen
Wink von Einar schlüpfte Valknut wieder in die Dunkelheit zurück, um sicherzustellen, dass wir nicht gestört wurden.
Martin setzte sich wieder auf seinen Hocker und fuhr mit seiner Arbeit fort. Mit dem Mörser zerrieb er etwas in einer Schale. Er sah, dass ich ihn beobachtete und lächelte. »Galläpfel in Essig, angedickt mit Gummi aus Serkland und mit Eisensalz vermischt«, sagte er. »Encaustum, von Lateinisch caustere, beißen. Aber das weißt du ja, kleiner Orm, denn du kannst Latein.«
Jetzt wusste ich, woher die schwarz-gelben Brandflecken an seinen Fingerspitzen kamen – eines seiner vertrauten Merkmale von früher. Er war zugleich gewachsen und geschrumpft, seit wir ihn das letzte Mal gesehen hatten. Er trug jetzt einen Bart und seine Glatze – die man eine Tonsur nannte, wie ich gelernt hatte – war frisch rasiert. Doch er war hagerer und sein Gesicht hatte sich verändert. Seine Augen waren tiefer eingesunken, strahlten aber mit einer merkwürdigen neuen Inbrunst.
Er deutete auf die Geräte und Substanzen vor sich auf dem Tisch, während Steinkel zitterte und wir alle darauf warteten, ob Valknut draußen etwas entdeckt hatte. Dann redete er weiter.
»Was ich hier herstelle, wird euer Ende besiegeln, aber das Wort Gottes wird triumphieren«, fuhr er fort, während er langsam weiterrieb und Einar lächelnd ansah.
»Unser Ende?«, fragte Einar ehrlich verdutzt.
»Das Eure und das von Euresgleichen«, sagte er.
Für einen Moment herrschte tiefes Schweigen.
»Dies sind Listen für Tribute und Steuern«, fuhr Martin fort neben dem reibenden Geräusch seines Mörsers. »Diese armen Heiden machen Kerben auf Holzstücke, sogar
auf Streifen von Birkenrinde. Aber so kann man kein Königreich verwalten. Oleg schätzt mich, denn ich kann ihm genau sagen, wer ihm wie viel schuldet. Und noch seine Kinder und Kindeskinder werden es wissen. Denn diese Mixtur«, er wies auf seinen Mörser, »frisst sich ins Pergament und lässt sich nicht mehr löschen.«
»Ich habe es immer gewusst, du bist ein kluger Kopf«, erwiderte Einar unbeeindruckt. »Wie klug, das hast du mir schon einmal gezeigt.« Und damit zog er sein kleines Messer heraus und schnitt lässig einen Faden ab, der von seinem Ärmel hing.
Bei der Erinnerung zuckte Martin zusammen. Er hielt inne mit dem Reiben und berührte die Narbe an seinem verkürzten Finger. Schnell fand er aber sein Lächeln wieder. »Wenn du nicht zu mir gekommen wärst, Einar, dann wäre ich zu dir gekommen«, sagte er.
»Ach, wirklich«, meinte Einar. »Dann war es ja ein Glück für uns beide, dass du diesen mutigen Jungen und seinen Freunden gezeigt hast, wo wir zu finden waren. Was für höfliche Boten sie doch sind!«
Martin zuckte mit den Schultern. »Diese Knaben kamen zu mir, weil ich Priester bin und sie getaufte Christen. Als sie mir sagten, wer sie sind, wusste ich, wen sie suchten. Es war ein Werk Gottes.«
»Genau«, sagte mein Vater. »Dein Gott muss mächtig froh über deine Hilfe gewesen sein, als du diese Jungen und ihre Schergen auf uns angesetzt hast. Ein leuchtendes Vorbild! Solltest du ihnen nicht eher beibringen, dass man nicht töten soll?«
»Du hast meinen Vater getötet …«, wandte Steinkel mürrisch ein.
»In der Tat, das habe ich, Neffe«, sagte mein Vater und
ich sah ihn schockiert an. Ich hatte
Weitere Kostenlose Bücher