Die Eingeschworenen Raubzug
immer angenommen, Einar habe es getan. »Er hat meinen Bären getötet«, fuhr mein Vater fort. »Und er hat versucht, meinen Sohn umzubringen …«
»Das reicht«, unterbrach Einar und sah Martin streng an. »Warum wolltest du zu mir kommen?«
Martin legte den Stößel beiseite und griff nach einer Schreibfeder. In diesem Moment kam Valknut herein, sah Einar an und schüttelte den Kopf.
Martin sagte: »Nimm den Jungen mit nach draußen.«
Steinkels Blick schoss von einem zum anderen, verwirrt und zornig. Als Valknut ihn am Arm packte, versuchte er, sich loszureißen. »Was habt ihr vor?«, schrie er mit hoher angsterfüllter Knabenstimme. Valknut nahm ihn in den Schwitzkasten, drehte ihn um und packte ihn von hinten am Kragen seiner Tunika, den er so fest drehte, dass es ihn würgte.
Er hob den Jungen so hoch, dass er, mit den Fußspitzen wild zappelnd, nach einem Halt suchte, dann taumelten sie beide hinaus in die Nacht.
Einar sah Martin mit erwartungsvoll geneigtem Kopf an, und dieser hörte auf, seine Schreibfeder zu schärfen. »Ich habe Oleg nichts gesagt, wenn du das wissen willst«, erklärte er. »Ich werde auch weiterhin schweigen, verlange im Gegenzug jedoch die Rückgabe der heiligen Lanze.«
»Was willst du haben?«, fragte mein Vater.
»Den Lanzenschaft«, sagte ich, »den Hild verwahrt.«
Mein Vater sah von einem zum anderen. »Was will er … wozu soll denn das gut sein? Das Ding ist doch zu nichts zu gebrauchen.«
Ich sah Martin an und wusste Bescheid. »Er hat sie Oleg
versprochen«, sagte ich. »Und wie wird Oleg dich dafür belohnen? Baut er dir in Känugard eine Kirche? Oder hier in Holmgard?«
Martins Lächeln war scharf wie eine Klinge. »In Känugard. Und wenn er seinem Vater nachfolgt, wird er mich mit dem Segen des Papstes dort zum Bischof machen. Das Land braucht eine neue und christliche Religion.«
»Und es wird nicht die griechische aus der Großen Stadt sein«, beendete ich den Gedanken für ihn, was er mit einem wohlwollendem Neigen des Kopfes bestätigte.
»Swjatoslaw hat noch zwei weitere Söhne«, sagte mein Vater, »denen diese großartigen Pläne vielleicht weniger gefallen.«
Martin zuckte mit den Schultern. Ich merkte, dass er keine Probleme haben würde, mit seiner Anhängerschaft zu demjenigen Bruder zu wechseln, der sich den anderen gegenüber durchsetzen würde – vorausgesetzt, er könnte ihn mit einer wertvollen christlichen Reliquie ködern.
Einar sagte nichts. Martin und er funkelten sich feindselig an, jeder wusste, was der andere dachte. Was hielt Einar davon ab, Martin jetzt zu töten und ihn ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen?
Offenbar die Tatsache, dass Martin Olegs Gefolgsmann war, und das würde uns in Schwierigkeiten bringen. Und Steinkel würde wissen, wer es getan hat, also müsste er ebenfalls sterben. Und sein Bruder würde es vermuten, also müsste man auch ihn suchen und umbringen … Das war selbst Einar zu viel Blutvergießen.
»Wie kann ich wissen, dass du dein Wort hältst, Mönch?«, fragte Einar schließlich.
»Weil du mich umbringen wirst, wenn ich es nicht tue«, erwiderte der nüchtern, »und ich werde es dir beim Kreuz
Christi schwören, also einen Eid, wenn du es willst. Du hältst doch viel von Schwüren, Einar.«
Wieder trat Stille ein, und im Geist sah ich überall Blut. Aber dann schüttelte Einar den Kopf und ich atmete auf.
»Schwöre es bei deinem Christengott, wenn du willst«, sagte er leise. »Aber schwöre auch bei Odin.«
Martin zögerte, schließlich nickte er. Wahrscheinlich konnte man seiner Meinung nach einen Heidenschwur leicht brechen, aber einen Schwur im Namen seines Gottes würde er halten. Natürlich würde Einar trotzdem versuchen, ihn umzubringen, wenn sich ihm nur eine günstige Gelegenheit bot – und das wusste auch Martin. Ich war sicher, dass es von jetzt an noch schwieriger sein würde, ihn aufzuspüren.
Als wir durch die Nacht zurückgingen, fragte ich mich, wie wir es schaffen wollten, Hild den Lanzenschaft abzunehmen, und sprach es auch aus, doch anscheinend machte sich sonst niemand Gedanken darüber.
Schließlich war es gar nicht so schwer. Zwar klammerte sie sich daran fest, aber Ketil Krähe bog ihr einfach die Finger auf – und ich vermute, er hätte auch noch andere Mittel ergriffen. Ich erwartete ihre Wut, ihr Toben, vielleicht sogar wieder ihre Anfälle mit den verdrehten Augen. Stattdessen sank sie nur mit einem müden Seufzer aufs Deck, wie ein leerer Sack.
Ketil Krähe
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