Die Eingeschworenen Raubzug
und Illugi Godi gingen hinaus in die Nacht, um die Reliquie zu überbringen und Martin den Eid abzunehmen. Ich sagte ihnen, sie sollten sich vor meinen Vettern hüten, die jetzt vermutlich doppelt wütend waren. Aber sie winkten nur ab.
Hild sah Einar mit ernstem Blick an. »Dafür wirst du bezahlen müssen«, sagte sie so ernst, dass es mich fröstelte.
Selbst Einar, der in düsteres Nachdenken versunken war, sah sie beunruhigt an.
»Kannst du trotzdem Attilas Grab finden?«, fragte er schließlich. Sie nickte, und ihre Augen wirkten im gelben Laternenlicht pechschwarz.
»Nichts kann mich von diesem Grabhügel fernhalten«, erklärte sie. »Aber dazu brauche ich etwas von dir.«
Wochen später sank endlich der Wasserstand des Wolchow, und so konnten wir weiter nach Kiew ziehen. Valgard und ein Dutzend Eingeschworene ließen wir mit der Elk zurück. Nowgorod war der letzte Hafen, in den fremde Schiffe einlaufen durften. Ab hier mussten alle Händler auf die Schiffe der Rus umsteigen: auf die Strug-Boote und die größeren Schiffe, die Nasad genannt wurden, die zwar teuer waren, aber sie konnten Ostseestürmen trotzen und ihr Kiel überstand auch den Transport über Land unbeschadet. Es war eine sehr wirksame Methode für den Fürsten, die Flussschifffahrt zu kontrollieren.
Doch diesmal blieben die Händler in dem überfüllten Hafen zurück, sie wetterten und fluchten, denn Swjatoslaw hatte alle Schiffe dafür eingezogen, um Männer und Ausrüstung so schnell wie möglich nach Känugard, ins goldene Kyjiw, zu bringen. Von dort würde es über Land zum Don gehen, um dann per Schiff weiter zu den Chasaren zu reisen.
Ich glaube, ich bin im meinem Leben nie bequemer gereist als auf dieser Fahrt nach Känugard. Da wir zu Jaropolks Druschina gehörten, mussten wir nicht selber Hand anlegen. Die Schiffe wurden von einheimischen Flussschiffern gestakt und wir hatten nichts weiter zu tun, als unsere Ausrüstung sauber zu halten, uns gegenseitig
in unseren neuen Umhängen zu bewundern – sie hatten die Farbe von altem Blut, das Wahrzeichen unserer neuen Würde als fürstlicher Leibgarde – und darüber zu spekulieren, ob die Frauen in Känugard besser sein würden als die in Nowgorod.
Das waren sie. Alles war besser in Känugard. Die Stadt schäumte vor Leben, es wimmelte vor Menschen. Ganze Stämme waren hier versammelt: Mari, Polanen, Sewerjanen, Drewlanen, Radimitschen, Duleben, Tiwerzen. In den Straßen sah man ihre Pferde und Hunde und Frauen und Kinder. Es war ein turbulentes Treiben und wildes Sprachengemisch, und alles leuchtete in den lebhaftesten Farben. Kirschen trockneten auf den Dächern ihrer Holzhäuser, die sie Chata nennen, und die Äste der Birnen- und Quittenbäume bogen sich unter der Last ihrer Früchte.
Vom Norden her, über Salessje, kamen Karawanen aus Serkland mit Gewürzen, Edelsteinen, Samt- und Seidenstoffen, Damaszener-Stahl und herrlichen Pferden. Aus Süden, über Kursk, erreichte noch immer etwas Silber die Stadt, eingehandelt von den Wolgabulgaren in Ländern noch jenseits von Sarkland. Aus Holmgard jedoch, oder Nowgorod, wie sie hier sagten, von wo Wolle, Leinen, buntes Glas, Heringe, Bier, Salz und feine Knochennadeln hätte kommen sollen, kam nichts – außer uns, die Leibgarde des Prinzen, gaffend und unternehmungslustig und herausgeputzt wie die Pfauen.
Eine brütende Sommerhitze hatte die Stadt erfasst und Illugi Godi wurde immer mürrischer, als wir anlandeten, während die übrigen Eingeschworenen nur darauf warteten loszustürzen, um sich bei Bier und Frauen zu vergnügen. Aber er machte gut Miene zum bösen Spiel.
»Genieße es, solange du kannst, Junge«, sagte er bei unserer Ankunft und stützte sich auf seinen Stab, während ich auf den Anlegesteg sprang und mich zusammen mit einem Dutzend anderer in die Stadt aufmachte. »Ich hoffe nur, dass wir nicht zu lange bleiben, sonst wird es Krankheiten und noch Schlimmeres geben.«
Ich winkte ihm zu. Mir war es egal. Das Schreckgespenst Hild war mir in den vergangenen Tagen wie ein ständig vorwurfsvoll erhobener Zeigefinger erschienen. Sie verbrachte die meiste Zeit dicht neben Einar hockend, die Götter mögen wissen, was sie da taten – mit Liebe hatte es jedenfalls nichts zu tun.
Und dann war da noch mein Vater. Ich hatte mehrmals versucht, mit ihm über Gudleif zu sprechen, über die ersten fünf Jahre meines Lebens und meine Mutter, aber er tat es immer nur mit einer Handbewegung ab, als sei das völlig
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