Die Eingeschworenen Raubzug
Feuerkugeln entlanggeschrammt waren.
Zinnen waren abgebrochen, was der Festungsmauer das Aussehen einer zahnlückigen Alten gab. Ringsumher lagen zahllose zerbrochene Kacheln verstreut: türkische Bilder von Pferden und Menschen und mit Zeichen, die uns wie Runen vorkamen und die sie Tamgas nannten.
Die Steppe vor den Stadttoren wimmelte wie ein Ameisenhaufen. Überall galoppierten donnernd Reiter vorbei, ihre Lanzen glänzten in den Staubwolken, die alles in gelben Nebel einhüllten.
Ich schwitzte und brauchte dringend etwas zu trinken. Meine Augen brannten vom Staub, der unter meinem Kettenhemd und dem Helm in jeder Hautfalte scheuerte, selbst in meinen Mundwinkeln, wo er sich mit meiner Spucke zu grauem Brei vermischte.
Links von mir stand Bersi, er hatte den Schild gegen seine Knie gelehnt und bemühte sich, seinen vierten Zopf mit einem Lederband zusammenzubinden. Er wurde von Fieberschauern geschüttelt und seine Hände zitterten. Auf meiner anderen Seite steckte Krummnacken gerade einen knotigen Finger in die Nase, um einen Pfropfen aus
Dreck und Rotz herauszubefördern und ihn geistesabwesend an seiner Hose abzuwischen.
Ich sah alte weiße Narben auf seinem Handrücken, Zeichen aller altgedienten Krieger. Bei mir sahen sie noch ganz harmlos aus, aber in fast allen Kämpfen wurden die Hände verletzt, selbst in freundschaftlichen.
Hinter uns ertönte ein Kreischen und Stöhnen wie von einem Riesen mit Bauchschmerzen. Das gequälte Geräusch hielt an, bis man ein dumpfes Einschnappen hörte. Dann spürten wir plötzlich einen heißen Luftzug und ich zog den Kopf ein, genau wie alle anderen.
Eine Pause. Wieder ein gewaltiger heißer Luftzug und ein dumpf rollender Aufprall: das große Katapult hob eine Feuerkugel über unsere Köpfe, dann ein orangeroter Schweif, der eine ölig-schwarze Rauchfahne hinter sich herzog. Wir hörten und sahen nicht, wo sie landete.
Ich sah eine Frau mit Kind durch die Reihen der Eingeschworenen gehen, sie trug Wassereimer an einem Joch, in die die Männer dankbar ihre Becher tauchten und tranken. Die Frau lächelte Bersi an und er grinste durch die dicken Schweißtropfen auf seinem Gesicht zurück. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, worauf sie seine Schulter knuffte, aber als sie weiterging, lächelte sie noch immer.
Ein Reiter mit bloßen Armen und einem Lederhelm kam angetrabt, dorthin, wo Einar stand, ein bloßer grauer Umriss im Nebel des aufgewühlten Staubes.
»Scheiße«, murmelte Krummnacken und ich ahnte nichts Gutes.
Der Reiter und Einar redeten miteinander, dann galoppierte der Mann los und Einar sagte etwas zu Valknut.
Das Rabenbanner wurde entrollt, damit jeder es sehen
konnte. Dann wurde es schnell zwei, drei Mal hintereinander gesenkt, das Signal zum Vorrücken.
Mir wurde flau im Magen, ich spürte eine Kälte, die in meine Lenden schoss und dort alles auf die Größe einer Nuss schrumpfen ließ. Ich war in der ersten Reihe. Ich gehörte zu den Verlorenen. Hinter uns stand eine weitere Reihe in Rüstung, dahinter zwei Reihen unbewehrter Männer mit langen Speeren. Die fünfte Reihe bestand aus Großnase, Steinthor und allen weiteren Männern, die wussten, wie man mit einem Bogen umgeht.
Zwanzig Mann breit, fünf Reihen tief, zogen die Eingeschworenen durch den Staubdunst in die Schlacht.
Ich hatte keine Ahnung, wer sich zu unserer Rechten oder Linken befand – wenn überhaupt jemand dort war. Ich wusste, es war unsere Aufgabe, das Katapult zu schützen, das jetzt dicht an der Festungsmauer stand, die wir schemenhaft vor uns aufragen sahen.
»Greifen wir an?«, fragte ich Krummnacken und er knurrte etwas und hob seinen Schild in eine etwas bequemere Stellung.
»Nee, ich glaube, die kommen auf uns zu«, erwiderte er und blinzelte, weil ihm der Schweiß in die Augen lief.
Das Rabenbanner wurde hin und her geschwenkt. Ich hatte vergessen, was das bedeutete, aber da sich niemand rührte, blieb auch ich, wo ich war. Dann sah ich die Bogenschützen und wusste, Einar hatte sie zu einem Vorpostengefecht befohlen.
Katapulte sausten und donnerten und in den undurchdringlichen Staubwolken schrien und brüllten Männer, Pferde galoppierten hin und her. Irgendwo ertönten Hornsignale. Eine Gruppe Männer mit Speeren trabte schräg vor uns über den Weg und hatte anscheinend unsere
Rückseite zum Ziel. Unsere Leute? Chasaren? Griffen sie an? Rannten sie weg? Ich kaute an meinen aufgeplatzten Lippen und sah mich wild nach allen Seiten um, als Krummnacken mich
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