Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)
haben, falls die Kacke wirklich am Dampfen ist. Der tägliche Geheimdienstbericht für den Präsidenten vom 6. August 2001, was die unmittelbar bevorstehenden Anschläge von Al Qaida auf die Vereinigten Staaten betraf, ist wieder in aller Munde. Das ließ Bush sehr schlecht dastehen.
Ein Freund von mir im National Security Council sagt, die engsten Berater des Präsidenten lenken ihn in Richtung der Verhängung eines Ausnahmezustands, was zum Teufel das auch bedeuten soll. Sie empfehlen ihm einen von drei möglichen Kursen: 1. Aussitzen und die Sache dem FBI und den lokalen Strafverfolgungsbehörden zu überlassen; 2. das Kriegsrecht auszurufen und die Verfassung außer Kraft zu setzen; und 3. den »Ausnahmezustand« zu erklären und die Nationalgarde zum Schutz von Schlüsselpositionen in der Regierung und im Zivilbereich einzusetzen. Unübersehbar klingt die dritte Möglichkeit im Vergleich zur politischen Schwäche der ersten und dem Irrsinn der zweiten als Alternative der Vernunft. Außerdem gibt sie dem Präsidenten die Möglichkeit, je nach Lauf der Dinge die Daumenschrauben anzuziehen oder zu lockern.
Es gibt auch Gerüchte über Anschläge auf Schulen. Ich denke, das wird
von Insidern aus Regierungskreisen verbreitet. Reporter werden den Präsidenten dann nach dem Wahrheitsgehalt befragen, er wird sagen ›kein Kommentar‹ und die Mainstream-Medien werden die Entsendung der Nationalgarde und den Ausnahmezustand fordern, denn wenn Schulen angegriffen werden, lassen die Leute ihre Kinder zuhause, können nicht zur Arbeit gehen und die Wirtschaft bricht ein.
Wenn sie damit fertig sind, wird die Aussetzung der Verfassung als die einzig konsensfähige, verantwortungsvolle Möglichkeit erscheinen. Das ist krank. Wir müssen es verhindern.
Horton ist der Schlüssel. Aber ich weiß nicht, wo er ist oder wie man an ihn herankommt. Rufen Sie mich so bald wie möglich an.
Ich belauschte ein Gespräch zwischen ein paar Einheimischen. Typisch war einer, der sagte: »Wenn wir sicher wissen, dass hinter diesen Anschlägen Moslems stecken, dann sage ich: Lasst uns ihre verdammten Länder zu Parkplätzen eindampfen. Nix mehr Gutmenschen, nix mehr Reden, nix mehr Verständnis. Ihr wollt Krieg? Gut, ihr sollt ihn haben. Aber als Erstes, sag ich, schaffen wir jeden gottverdammten verräterischen amerikanischen Moslem aus der fünften Kolonne zurück in sein Land, damit er den Atompilz aus nächster Nähe genießen kann, jawoll, Sir! Wenn’s sein muss, drücke ich persönlich auf den ScheißKnopf. Und ich garantier’ euch, ich muss mich hinten anstellen, weil jeder aufrechte Amerikaner genau dasselbe tun will.«
Keiner widersprach ihm. Ich erkannte, dass diese Hysterie etwas war, in dem wir untertauchen konnten, zumindest, was die Bevölkerung betraf, denn wir passten nicht in das Profil, mit dem die öffentliche Meinung manipuliert wurde.
Wir fuhren weiter, überquerten den ›Pfannenstiel‹ von Oklahoma, umgingen aber weiträumig Oklahoma City und auch Amarillo, denn die Trauer und der Zorn des Anschlags von Lubbock lagen bedenklich nahe. Dann folgten die staubigen, flachen Straßen von New Mexico, die Nationalparks von Arizona, Phoenix, und schließlich ging es über den Colorado nachKalifornien. Danach blieben wir auf der Interstate 10 und fuhren um den Joshua Tree Nationalpark herum, statt die weniger befahrenen Straßen weiter nördlich zu benutzen, die uns unangenehm dicht an die Marinebasis in Twentynine Palms herangeführt hätten. Endlich, während die Sonne hinter uns aufging, erreichten wir bei Santa Monica den Pazifik. Die ganze Fahrt hatte uns drei Tage und Nächte gekostet, über Nebenstraßen, immer strikt am Tempolimit. Die Zeit verstrich wie im Dämmerzustand eines Gewaltmarsches, teils in der Fahrerkabine, teils in der erstickenden Hitze und Dunkelheit des Laderaums, während Regierungseinheiten uns erbarmungslos jagten. Aber wir hatten es geschafft. Wir waren da.
Jetzt mussten wir nur noch an Mimi Kei herankommen. Und durch sie an Horton.
Teil
Drei
Der Unterschied zwischen Propaganda und Nachrichten ist nicht mehr erkennbar.
Jonathan Adelstein,
Kommissar der Medienaufsichtsbehörde der USA
Was aber, wenn die Eliten glauben, dass Reformen unmöglich wären, weil die Probleme zu groß geworden sind, die Opfer zu schwerwiegend, die Öffentlichkeit zu leicht lenkbar? Was, wenn kognitive Dissonanz in unsere Theorien, wie guter Journalismus aussehen sollte, nur unzureichend eingeflossen ist …
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