Die Einöder
dralles Weib, dessen üppige, phantastisch geschminkte Brüste aus dem aufgeschnürten Mieder quollen, hockte rittlings und mit hochgeschlagenem Rock auf dem Schoß eines Kerls; ungeniert kopulierten die beiden am Kopfende einer der Tafeln, und auf dem Tisch daneben lag rücklings eine weitere, völlig nackte Frau, zwischen deren feisten Schenkeln ein kahlschädeliger Greis mit geiler Zunge zugange war. Am wüstesten jedoch trieben es vier schmerbäuchige Weiber, welche sich auf einen breiten Teppichpfühl in einer Mauernische des Saales zurückgezogen hatten und sich dort in enger körperlicher Verschlingung auf lesbische Art austobten. Ihr ekstatisches Stöhnen und ihre schrillen Lustschreie drangen bis zur Eingangstür des Gewölberaumes, wo der Alte aus den Steinbergen stand und fassungslos auf das wahnwitzige Treiben starrte – und dann plötzlich wich der Bann von dem Grauhaarigen, und er wollte sich, zutiefst schockiert und angeekelt, zur Flucht wenden.
Gleich einem verschreckten Tier duckte er sich und spannte die Beinmuskeln an, um hinauszurennen – aber im selben Augenblick spürte er den harten Griff des Glotzäugigen an der Schulter und hörte die befehlende Stimme des übergewichtigen Mannes, der ihn hergebracht hatte: „Sei nicht dumm! Bleib da! Und füll dir die Lungen nach Herzenslust mit der guten Luft, die es hier drinnen überreichlich gibt!“
Damit deutete der Glotzäugige auf eine an der Türwand befindliche Metalldüse, aus der es sanft zischte, und unwillkürlich trat der Alte so nahe wie möglich an den Düsenkopf heran. In seinem Schockzustand hatte er das Luftholen zuvor fast vergessen; nun sog er die sauerstoffgesättigte Atemluft um so tiefer in die Brust, und je mehr er von dem belebenden Odem trank, desto besser und leichter fühlte er sich. Daher atmete er immer schneller; fast wie süchtig – und gleich darauf war es ihm, als käme so etwas wie ein süßer, befreiender Rausch über ihn: eine unbeschreiblich wohltuende Verzückung, die alles, was eben noch quälend auf ihn eingestürmt war, auslöschte und ihm nie gekannte körperliche und mentale Wonne schenkte.
Der Grauhaarige hatte das Empfinden, eine weiche, ungemein beglückende Bewußtseinsveränderung zu erleben; mit einem Mal sah er die Welt und die Orgie im Prunksaal aus einer ganz anderen Perspektive. Das, was ihn gerade noch abgestoßen hatte, erschien ihm jetzt interessant und erregend; nach einigen weiteren tiefen Atemzügen kamen ihm die Szenen in dem Gewölbesaal sogar heiter und schön vor – und zugleich schienen von irgendwoher die Verheißungen des Kolibribunten heranzuhallen: die wundersamen Verheißungen vom Gottesgeist, welcher den Menschen in der Donaustadt himmlische Glückseligkeit bescherte.
Vor Freude über die erlösende Erleuchtung, die ihm zuteil wurde, begann der Alte zu weinen; die Tränen trübten ihm den Blick – doch dann tupfte sie ihm sein wohlbeleibter Begleiter mit behutsamer Zärtlichkeit ab und sagte dabei: „Ich denke, nun wirst du nicht mehr fliehen wollen, mein Freund…“
Er wartete ab, bis der Grauhaarige mit unendlich dankbarem Gesichtsausdruck nickte; sodann fügte er hinzu: „Hier vor dir siehst du die allmächtigen und wohlmeinenden Herrscher der Stadt. Ich bin einer von ihnen, und im Namen aller lade ich dich herzlich ein, unser Gast zu sein und die Freuden des Daseins mit uns zu teilen.“
Abermals nickte der Alte in rückhaltloser Hingabe – und im nächsten Moment ergriff der Fettleibige seine Hand und führte ihn wie ein Kind zur nächststehenden Tafel, wo die Stadtherrscher, die dort saßen, den Abgerissenen aus dem Steingebirge mit betrunkenem Überschwang empfingen.
Die siebte Vision
Die Herrscher
S ie bildeten den Herrscherbund der Donaustadt; sie regierten ähnlich autokratisch wie die tyrannischen Fürsten und Fürstinnen längst vergangener despotischer Zeiten, denn sie waren diejenigen, welche Atemluft, Nahrung und Wasser kontrollierten.
Vom Machtinstinkt geleitet, hatten sie sich, nachdem die Globalkatastrophe über die Erde hereingebrochen war, zusammengeschlossen: Chemiker, die einstmals in ihren Labors damit beschäftigt gewesen waren, selbst aus scheinbar dafür ungeeigneter Materie Sauerstoff zu extrahieren; Biotechniker, welche mit Hilfe von Solarenergie und speziellen Strahlen aus winzigen Zellhaufen zentnerweise proteinhaltige Nährsubstanzen zu züchten vermochten; Genmanipulateure, die es geschafft hatten, den künstlich erzeugten
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