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Die Einöder

Die Einöder

Titel: Die Einöder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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Nahrungsmitteln und ebenso den reichlich produzierten synthetischen Alkoholika ein natürliches Aussehen zu geben; Geologen, welche die Fähigkeit besaßen, Wasseradern aufzuspüren, die tief im Erdinneren verborgen waren; Ingenieure schließlich, welche die Maschinen konstruiert und gebaut hatten, die zur Wasserförderung sowie zur Komprimierung und Verteilung des Sauerstoffs in der Stadt benötigt wurden.
    Aus diesen besonderen Berufsgruppen war der Herrscherbund entstanden, und jetzt regierten die Männer und Frauen, die über das existenznotwendige Wissen verfügten, mit uneingeschränkter Macht, die sie skrupellos ausübten. Denn alle anderen Menschen waren abhängig von ihnen; waren ihnen auf Gedeih und Verderben ausgeliefert, weil es einzig an den Herrschern lag, ihnen das zu geben – oder auch zu verweigern –, was sie am Leben erhielt: einigermaßen atembare Luft, ausreichend Nahrung und relativ sauberes Trinkwasser.
    Aus diesem Grund hatten sich die gewöhnlichen Stadtbewohner dem Herrscherbund unterwerfen müssen. Nun kuschten sie verängstigt vor den Mächtigen und flüsterten über deren Willkür und die Exzesse, welche sich im Ratskeller oder in gewissen anderen, von den schwarzuniformierten Bütteln der Herrscher bewachten Gebäuden abspielten, höchstens heimlich in ihren heruntergekommenen Häusern.
    Die Angehörigen des Herrscherbundes wiederum sahen in den einfachen Leuten nichts weiter als wertlosen Pöbel, den man lediglich für bestimmte primitive Arbeiten benötigte, die zum Funktionieren des Ganzen notwendig waren. Außerdem gefielen sich die Herrscher bisweilen darin, junge Männer und Frauen aus der niedrigen Bevölkerungsschicht zu den Orgien zu befehlen, wo die Betroffenen dann zu perversen Sexspielen gezwungen wurden. Manchmal auch wurden gewöhnliche Menschen verschleppt, in groteske Kostüme gekleidet und massiv unter Alkohol gesetzt, damit sie sich in ihrem volltrunkenen Zustand wie mittelalterliche Hofnarren vor den Machthabern gebärdeten – und einzig zu diesem Zweck hatte der Glotzäugige auch den Alten aus den Steinbergen in den Ratskeller gebracht.
    Durch das Versprechen, er dürfe sich nach Herzenslust an Speise und Trank delektieren, hatte der Fettleibige den Grauhaarigen geködert; mit Hilfe der überreich vom Sauerstoff gesättigten Atemluft aus der Wanddüse hatte er sein Opfer völlig kirre gemacht, und in derselben Minute, da er den Alten zu einer der Herrschertafeln geführt hatte, war das Schicksal des betagten Mannes, der aus den toten Klüften des Steingebirges in die Donaustadt gekommen war, endgültig besiegelt gewesen.
    Im gleichen Augenblick, in dem der Grauhaarige gierig nach einem fetten Bratenstück gegriffen hatte, das ihm gereicht worden war, hatte er seine Seele verkauft. Ohne es noch zu wissen, war er im selben Moment zum Sklaven der Stadtherrscher geworden: zum verachteten Narren derjenigen, welche die absolute Macht besaßen und ihn, den hilflosen Toren, der auf ihre Nahrungs- und Sauerstoffalmosen angewiesen war, ganz nach ihrem Gusto mißbrauchen konnten.

Die achte Vision
Der Hofnarr
     
    D er Alte trug jetzt ein Narrengewand über den Kleidungsfetzen, in denen er einst nach toten Baumwurzeln gegraben und den chitinharten Heuschreck gejagt hatte. Einen zweifarbigen Kittel, der aus schreiend gelben und grünen Plastikstreifen zusammengenäht war, hatten sie ihm übergestreift. Schon bald nach seiner Ankunft war es geschehen, und er hatte es, durch eine Sauerstoffdusche in Euphorie versetzt, lachend und kreischend mit sich geschehen lassen. Später freilich hatte er bemerkt, daß ihm die Plastikfolie manchmal unangenehmes Jucken und Brennen auf der Haut verursachte; zudem begann er gelegentlich arg zu schwitzen, wenn er vor den Herrschern tanzen mußte. Doch diese Mißhelligkeiten nahm er klaglos hin, und er ertrug sie vor allem deshalb ohne Aufbegehren, weil ihm zumeist gar nicht wirklich bewußt war, daß er litt.
    Denn der Grauhaarige lebte nun in einer wunderbaren, fast paradiesischen Welt, in welcher das Atmen dank des reichlich vorhandenen Sauerstoffs immerwährend leicht und erfüllend war. Er mußte nicht mehr mühsam nach Luft ringen und verbrachte keine keuchenden, alptraumhaften Nächte mehr. Die Wind- und Staubwirbel, die ihn in den Steinbergen beinahe täglich verfolgt hatten, waren zu schemenhafter, ferner Erinnerung geworden; ebenso der sterile Erdboden des ehemaligen Waldgebirges, der keinen Baum, keinen Strauch, kein Grasbüschel und

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