Die Einöder
keinen Getreidehalm mehr hervorbringen wollte.
Der Alte hatte fast vergessen, wie grauenhaft hart sein Dasein noch vor kurzer Zeit gewesen war; jetzt zählte nur noch das Wohlleben unter der Obhut der Stadtherrscher für ihn: der Allmächtigen, die ihn mit allem versorgten, was sein Körper begehrte. Und daß er dafür mit erniedrigender Selbstaufgabe bezahlen mußte, war ihm, zumeist jedenfalls, einerlei; weitgehend willenlos tat er, was die Herrscher von ihm verlangten, und aus diesem Grund schätzten die Machthaber ihn als ihren Hofnarren und duldeten ihn unter sich.
Oft tanzte er, vom Schnaps beflügelt, vor ihnen, und in seinem rauschhaften Überschwang war es ihm egal, wenn diejenigen, die an den Tafeln praßten und soffen, über seine grotesken Verrenkungen lachten oder Bratenstücke nach ihm warfen. Das spöttische Gelächter erschien ihm wie Applaus; das braunkrustige Fleisch konnte er auffangen, um es, hin und her hüpfend, hastig zu verschlingen – und sobald er das tat, durfte er sich des Beifalls der Stadtherrscher gewiß sein. Aber auch durch andere närrische Darbietungen erfreute er die Mächtigen. So etwa, indem er auf eine Tischplatte sprang, sich dort, eine Windhose imitierend, rasend schnell um die eigene Achse drehte und dabei mit fistelnder Stimme wie ein Hahn zu krähen versuchte. Oder aber er hetzte, wenn er dazu aufgefordert wurde, in langen Sätzen von Saalwand zu Saalwand und demonstrierte den Herrschern auf diese Weise, wie sich die Heuschrecken im ausgetrockneten Flußbett des Schwarzen Regen bewegt hatten. Dann wieder führte er den Machthabern das gräßliche Toben der Windwirbel in den Steinbergen vor Augen, indem er das Narrengewand auszog, es wie wild um seinen Kopf flattern ließ und dabei ein heulendes Gebrüll ausstieß. Auch entblößte er manchmal den linken Fuß, schrie heraus, daß er nun der Wanderer mit dem Wägelchen sei, und humpelte sodann, vom Gottesgeist faselnd, herum, was ihm jedesmal tosenden Applaus einbrachte. Und wenn er die Stadtherrscher derart meisterlich ergötzt hatte, konnte es geschehen, daß er besonderen Lohn für seine Gaukelkunst bekam. Gelegentlich ließen ihm die Machthaber dann nämlich eine der Stahlkartuschen bringen, die zuhauf in den Nebenräumen des Ratskellers und der anderen Festsäle lagerten – und sobald die schwarzuniformierten Büttel den Sauerstoffbehälter vor dem Alten niedergelegt und das Ventil ein wenig geöffnet hatten, durfte der Hofnarr gleich einem Hündchen um die Kartusche herumspringen und den Odem schnüffeln; so lange, bis die feixenden Männer in den schwarzen Uniformen den Ventilhahn wieder schlossen.
Auf solche Art erfreute der Grauhaarige die Herrscher, und mit der Zeit spielte er seine Rolle immer besser. Er blühte förmlich auf in Erfüllung der närrischen Pflichten, die ihm auferlegt waren – und selbst seine verbale Ausdrucksfähigkeit, die während der vielen trostlosen Jahre im Steingebirge verkümmert war, regenerierte sich, so daß er sich zur Untermalung seiner Gaukelkünste bald ähnlich effektiv wie ein Marktschreier zu artikulieren vermochte.
„Schaut!“ pflegte er den Mächtigen jetzt zuzurufen. „Ich zeige euch den sprungstarken Heuschreck!“ Oder er kündigte ihnen juchzend an: „Gleich werde ich so böse und verrückt wirbeln wie eine Windhose!“
Einmal, als er schrie: „Ich spiele euch den Irrsinnigen mit dem nackten und dem bestiefelten Fuß vor!“, brüllte einer der feisten Stadtherrscher zurück: „Dann sollst du auch eine nacktarschige Belohnung im voraus für deine Mühe haben!“ – und schleuderte ein Brathuhn in Richtung des Alten.
„Tausend Dank, mein gottgütiger Herr und Meister!“ rief der Hofnarr; mit dem nächsten Lidschlag fing er die Gabe geschickt auf und verschlang sie, vor Behagen stöhnend, im Handumdrehen bis auf den letzten Rest.
Wenn der grauhaarige Narr im gelbgrünen Plastikkittel Verlangen nach alkoholischer Betäubung verspürte, forderte er lautstark: „Schnaps her, damit ich saufen kann wie ein Schwein!“ Und stets wurde ihm dann eine Flasche zugeworfen, die er sich zumeist im Heranfliegen schnappte. Schaffte er dies jedoch nicht, so daß die Schnapsflasche auf dem Boden zerschellte, war ihm das auch recht. Denn in solchen Fällen scheute er sich keineswegs, den Alkohol von den Saalfliesen aufzulecken – und sobald er sich auf diese Weise produzierte, konnte er einmal mehr mit dem frenetischen Beifall der Machthaber rechnen.
Die Krönung seiner
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