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Die Einöder

Die Einöder

Titel: Die Einöder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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bleiben könne. Um ihm jedoch den Abschied zu versüßen, schenkten wir ihm eine Sauerstoffkartusche und halfen ihm, sie auf seinen Karren zu packen. Überschwenglich dankte er uns dafür; danach zog er, lauthals seinen Gott preisend, wieder in die Ödnis davon.“ In der Erinnerung daran grinste der Fettleibige über das ganze Gesicht; dann schloß er: „Und nun sagst du, er sei bei euch in den Steinbergen vorbeigekommen…“
    Der Alte hatte kaum etwas von der Erzählung des Glotzäugigen verstanden. Immerhin aber hatte er begriffen, daß der Buntgekleidete aus der Donaustadt vertrieben worden war, und da er den Wanderer als heiligen Mann in Erinnerung hatte, verspürte er jetzt derartige Empörung, daß er den Fetten wütend anfuhr: „Weiche von mir, du höllischer Gottesfeind!“
    Der Glotzäugige lachte laut auf; sodann äußerte er schmunzelnd: „Du bist mir der Richtige! Ein Erznarr, ganz wie dein Gottsucher! Doch sei beruhigt. Ich bin keineswegs der Teufel, auch wenn ich mir einen netten kleinen Spaß mit dir erlauben möchte. – Und nun komm mit! Ich will dir was Gutes tun, und ich denke, es wird dir gefallen, wenn du dich einmal nach Herzenslust an Speise und Trank delektieren darfst…“
    Damit hakte er den Grauhaarigen unter und führte ihn von der Kathedrale weg: auf eine der Gassen zu, welche in den Domplatz einmündeten. Der Alte, in dessen Ohren der letzte, so verheißungsvolle Satz des Städters ununterbrochen nachzuhallen schien, ließ es sich gefallen; wie willenlos ging er neben dem Fettleibigen her. Die beiden erreichten den Gassenschlund, passierten das Sträßchen und schritten durch andere Gassen in westlicher Richtung weiter, bis sie über einen zweiten Platz zum historischen Rathauskomplex der Donaustadt gelangten. Dort geleitete der Glotzäugige den noch immer verwirrten Grauhaarigen zum Portal eines der wuchtigen Bauwerke. Vor dem Bogentor standen zwei Männer in schwarzen Uniformen, die mit Maschinenpistolen und machetenartigen Langmessern bewaffnet waren. Achtungsvoll grüßten sie den Fetten; beflissen öffnete der kleinere von ihnen einen der beiden eisenbeschlagenen Portalflügel, und dann führte der Glotzäugige den Alten über eine breite Steintreppe ins Kellergeschoß des Gebäudes hinab.
    Unten betraten sie einen niedrigen Saal, in welchem sich noch mehr schwarzuniformierte Wachtposten aufhielten und an dessen Wänden Fässer und Kisten aus Metall sowie stählerne Sauerstoffbehälter gestapelt waren. „Alkohol, Lebensmittel und Atemluft im Überfluß!“ erklärte der Fettleibige; sodann zog er den Grauhaarigen zu einer schweren Eichentür im Hintergrund des Raumes, die nicht ganz geschlossen war. Diffuser Lichtschein und gedämpfter Lärm drangen durch den Türspalt; auch wehte ein Hauch von sauerstoffreicher Luft heraus, welchen der Alte in tiefen Zügen einsog. Die kräftige Atemluft bewirkte, daß sein Denken klarer wurde; unvermittelt blieb er stehen, umklammerte den Unterarm seines Begleiters und fragte: „Wo sind wir?“
    „Im Ratskeller, mein Freund“, lautete die Antwort. „Und jetzt sollst du sehen, wie wir, die Herren der Stadt, das Dasein zu genießen wissen!“
    Damit befreite er sich vom Griff des Grauhaarigen, stieß die Tür auf und schob den Alten über die Schwelle. Der betagte, halbverhungerte Mann aus dem Steingebirge stolperte ein paar Schritte in einen zweiten, größeren Saal mit mächtigem Tonnengewölbe, schaute sich gehetzt um und verharrte im nächsten Moment wie gebannt – denn in dem gotischen Prunksaal, der von gewaltigen Kronleuchtern erhellt wurde, gaben sich Dutzende von übergewichtigen Männern und Frauen einer hemmungslosen Freß- und Sauforgie hin.
    Sie saßen auf leder- oder samtbezogenen Prachtstühlen an langen, mit Damast gedeckten Tafeln, auf denen sich Bratenstücke, Brotlaibe und Früchte zu Bergen türmten; sie praßten mit fettigen Mündern und gossen sich zwischendurch aus ihren Humpen und Pokalen Bier oder Wein in den Schlund. Da und dort wurden auch Schnapsflaschen geschwenkt, und manche Zecher waren bereits vom Alkohol übermannt worden: so ein noch junger Mann in purpurner Robe, welcher schwankend auf dem Fußboden in einer Ecke des Raumes kniete und sich dort würgend übergab.
    Einige andere röchelten in ohnmächtigem Schlaf unter den Tischen; etliche von denen aber, die noch einigermaßen bei Sinnen waren, begnügten sich nicht mit maßlosem Saufen und Fressen, sondern befriedigten zudem ihre sexuelle Lust. Ein

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