Die Einöder
breitere Stromniederung einmündete, und als er kurz vor Sonnenuntergang bei der Stelle anlangte, wo sich die beiden Waldflüsse einst vereinigt hatten, wußte er, daß es bis zu seiner Heimkehr auf die einschichtige Hofstätte am Fuß des Arbermassivs nun bloß noch wenige Tage dauern würde.
An diesem Abend hatte er Glück bei der Heuschreckenjagd und fing gut zwei Dutzend der großen Insekten. Er verschlang sie roh, und dank der reichlich genossenen chitinkrustigen Nahrung fühlte er sich am darauffolgenden Morgen kräftiger als seit langem. Aber nicht nur, weil er sich physisch ein wenig erholt hatte, schritt der Einödbauer auf seinem Weitermarsch schneller als sonst aus; mehr noch trieb ihn die Vorfreude auf das Wiedersehen mit seiner Frau voran.
Denn er hatte seinen Vorsatz wahrgemacht und den Odem für sein Weib ins Steingebirge gebracht. In seinem Rucksack trug er die Druckflasche mit dem Sauerstoff, und trotz aller eigenen Nöte hatte er das Ventil der Kartusche unterwegs nicht ein einziges Mal geöffnet, um sich selbst mit der reinen, prickelnden Atemluft zu stärken. Daher würde er seiner Frau die ganze Fülle des Odems schenken können: Sauerstoff für viele unbeschwerte Stunden. Und die Augen seiner Gemahlin würden strahlen, wenn sie den Odem genoß; durch das Atemgeschenk würde er ihr seinen Dank für die vierzig Jahre abstatten können, in denen sie ungeachtet aller Mühsal an seiner Seite ausgeharrt hatte – und jedesmal wenn sich der Einöder die unsägliche Freude seiner Frau über den Odem ausmalte, verspürte er beinahe schmerzliche, kaum noch zu bezähmende Sehnsucht nach ihr in seinem Herzen.
Die zehnte Vision
Die Heimkehr
D er Alte hatte das Ziel seiner wochenlangen Wanderung fast erreicht. Im Schein der untergehenden Sonne erblickte er in der Ferne das einschichtige Anwesen; genauso wie er sie in Erinnerung hatte, erhoben sich die Gebäude der Hofstätte auf der flachen Bodenwelle über dem ausgetrockneten Flußbett des Schwarzen Regen. Das Wohnhaus und die Nebengebäude schienen im rötlich-gelben Licht des schwindenden Tages wie magisch zu glühen, und als der Grauhaarige dieses Bild sah, wurde seine Sehnsucht, die ihn schon seit Stunden rastlos hatte ausschreiten lassen, übermächtig.
Der Einödbauer verließ das sich in Bögen windende Trockenbett des verschwundenen Flusses, dem er bis jetzt gefolgt war, und schlug die direkte Richtung zum Anwesen ein. Als er nur noch drei-, vierhundert Meter vom Hof entfernt war, kam er zu einem Flecken, wo einstmals, ehe das Waldgebirge gestorben war, eine Baumgruppe gestanden hatte. Im ausgedörrten Erdboden gewahrte der Alte mehrere frisch aufgescharrte Löcher; offenbar hatte sein Weib hier erst vor kurzem nach Wurzelwerk gegraben. Der Einöder bückte sich und nahm einen fasrigen Strang auf, den seine Frau wohl übersehen hatte; als er die Lippen auf das schwärzliche Wurzelstück drückte, hatte er das Empfinden, seinem Weib bereits ganz nahe zu sein.
Er steckte die Holzfaser zu sich, sodann legte er die restliche Strecke bis zur Hofstätte beinahe laufend zurück. Als er vor dem Wohnhaus anlangte, war er versucht, nach seiner Frau zu rufen – doch weil er nun vor Anstrengung keuchte und ihm außerdem der Gedanke durch den Kopf schoß, daß er sein Weib besser überraschen sollte, verzichtete er darauf, sich bemerkbar zu machen. Statt dessen verschnaufte er; als sein Atem wieder etwas ruhiger ging, tastete er noch einmal nach der Stahlkartusche in seinem Rucksack, und dann öffnete er langsam die Haustür.
Die Türangeln knarrten und kreischten, als wären sie lange nicht mehr bewegt worden; aber das war schon immer so gewesen, und deshalb störte sich der Grauhaarige nicht daran. Vielmehr lächelte er vorfreudig, als er über die Schwelle trat; während er den Hausgang durchschritt, hoffte er, daß seine Frau die Türgeräusche gehört hätte und ihm entgegenkommen würde. Doch dem war nicht so; aus der Küchenstube, wo sein Weib sich eigentlich aufhalten mußte, drang kein Laut – und Sekunden später wurde dem Einödbauern jäh bewußt, daß im ganzen Haus tiefe, fast tödliche Stille herrschte.
Der Alte riß die Küchentür auf und fand den Raum dahinter leer; derselbe beklemmende Anblick bot sich ihm, als er in die Schlafkammer schaute. Ratlos, mit unkontrolliert bebenden Lippen, tappte er in die Küchenstube zurück. Dort starrte er auf den erkalteten Kochherd und ließ sich sodann auf einen Stuhl am Eßtisch sinken. Wieder
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