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Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Booth
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kein Sozialbau mehr. Wahrscheinlich hatte es die Gemeinde an seine jetzigen Bewohner verkauft. Die neuen Besitzer hatten eine Eingangstür in georgianischem Stil und Sprossenfenster einbauen und die verwitterte Fassade mit Kunststein verkleiden lassen. Alle Holzteile hatten sie weiß gestrichen und sogar einen niedrigen Holzzaun errichtet, der das Haus symbolisch vom Gehweg trennte.
    Viele Jahre lang hatte Fry gewisse Lieder im Radio nicht hören können, ohne sich auf der Stelle nach Warley zurückversetzt zu fühlen. Alles, von Right Said Fred oder Salt’n’Pepa , legte in ihrem Kopf einen bestimmten Schalter um, und sie
fand sich umgehend in dem Sozialwohnungsbau mit der bröckelnden Fassade in der Hilltop-Siedlung wieder. Dann lag sie wieder auf dem Bett in ihrem Zimmer und lauschte dem Knistern ihrer billigen Stereoanlage, in der Hand das Tagebuch, das sie unter Pulloverstapeln in einer der untersten Schubladen versteckt hatte. Genauso, wie Emma Renshaw es gemacht hatte.
    In der Zeit damals hatte es bestimmte Musikstücke gegeben, die sie aufgelegt hatte, um sich entweder in bessere Stimmung zu versetzen oder aber, um ihre Depression zu verstärken, oder weil der Text sie in tränenreichem Selbstmitleid schwelgen ließ. Jetzt hatten alle dieselbe Wirkung auf sie und riefen in ihr Erinnerungen an das kleine Zimmer und an ihr Tagebuch wach, an die vielen schmerzlichen Details ihres damaligen Lebens und an das Wunder, auf das sie vergeblich gewartet hatte.
    Fry stand reglos da und starrte auf das Fenster des vorderen Schlafzimmers. Erst als ein Gefühl der Verlegenheit in ihr hochkroch, wandte sie sich ab.
    Murfin wartete bereits neben dem Wagen auf sie, zufrieden lächelnd. Essen machte ihn immer glücklich. Fry konnte fast neidisch auf ihn werden, wenn sie zu viel Zeit in seiner Gegenwart verbrachte.
    »Wir können über die nächste Straße abkürzen, Gavin«, sagte sie.
    »Okay.«
    Sie fuhren am Wasserturm von Warley vorbei, der aus der Ferne wie eine mittelalterliche Burg aussah und Frys Fantasien als Kind angeregt hatte. Und nach dem Golfclub kam der Wald von Warley, die südliche Grenze ihres Territoriums, im Westen begrenzt von der Wolverhampton Road, dem Fluchtweg in die Stadt. Der Wald wirkte jetzt sauberer, übersichtlicher, weniger bedrohlich. Aber auch weniger wie ein Ort, der Zuflucht bieten konnte, wenn man sie brauchte.
    In der kurzen Zeit hatte sich die Siedlung sehr verändert.
Aber Fry hätte Schwierigkeiten gehabt, den Finger darauf zu legen, woran es genau lag und welche subtilen Unterschiede diesen Ort so fremd wirken ließen, so anders als die Welt, die sie als Teenager gekannt hatte.
    Aber sie war froh, dass sie zurückgekommen war.Warley war die Stein gewordene Verbindung zu ihrer Vergangenheit. Das Wiedersehen hatte ihr geholfen, ihren Blickwinkel zu korrigieren. Die Erkenntnis, dass das Haus in der Hilltop-Siedlung völlig anders war als vor fünfzehn Jahren, gab ihr die Kraft, in ihrer Erinnerung die Verbindung zu kappen. Hinter der Kunststeinfassade und den Sprossenfenstern waren weder ihr Teenagerzimmer noch ihr Tagebuch denkbar. Und beim Anblick des niedrigen weißen Zauns war sogar die Musik verstummt.
    Und vielleicht konnte sie jetzt auch mit dem Rest ihrer Vergangenheit abschließen.
    Murfin hatte an einer Kreuzung angehalten. Die Straßen rechts und links waren von einer Vielzahl von Geschäften gesäumt.
    »Das ist Bearwood«, erklärte Fry. »Hier ist Emma Renshaw verschwunden.«

24
    E s stellte sich heraus, dass bei der Durchsuchung von Neil Grangers Haus auch das Kästchen aufgetaucht war. Der für die Beweisstücke zuständige Beamte hatte es ordnungsgemäß katalogisiert, aber erst, nachdem man einen Wust von Papierkram durchgearbeitet hatte, war man fündig geworden. Der Gegenstand war zudem kleiner, als ihn Neils Bruder in Erinnerung hatte, ungefähr zehn Zentimeter lang und sieben Zentimeter breit. Und er war aus Messing, nicht aus Bronze.
    »Es sieht irgendwie indisch aus«, sagte Ben Cooper.
    »Sie kennen sich da wohl aus, wie?«
    »Nein, Sir.«
    »Dann haben Sie auch nichts dagegen, wenn wir eine zweite Meinung einholen, oder?«
    Cooper entging nicht, dass der Inspector verärgert war. Kein Polizeibeamter sondern ein Zivilist hatte auf die Existenz des Schächtelchens aufmerksam gemacht, den einzigen Gegenstand in Neil Grangers Haus, der entfernt an eine Antiquität erinnerte. Nun würde er Mr Kessen erklären müssen, weshalb er jetzt erst aufgetaucht

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