Die einsamen Toten
Craig.«
Cooper überflog kurz die übrigen Vorstrafenregister und fragte sich, ob alle Oxleys ihre Zeit mit gemeinnützigen Arbeiten statt mit Erwerbsarbeit verbrachten.
»Trotzdem – wer ist Craig?«
War er ein mittlerer Bruder? Ein Cousin? Cooper suchte in dem Stapel nach einem separaten Vorstrafenregister für Craig
Alan Oxley. Seine Adresse war dort mit Waterloo Terrace Nummer fünf, Withens, angegeben. Fran Oxleys Haus.
Es hätte ihm schon weitergeholfen, wenn die Oxleys auf der Wählerliste eingetragen gewesen wären. Aber wahrscheinlich hatten die Oxleys darauf verzichtet, in der Annahme, dass ihnen damit jede Menge Leute auf die Pelle gerückt wären, um sie zur Bezahlung von Gemeinde- und Einkommenssteuer zu bewegen.
Und Frans Mann – wie hieß der noch? Barry Cully, so hieß er. Aber die beiden waren nicht verheiratet. Fran hatte ihm erzählt, dass Barry Elektriker war und im Moment in Saudi-Arabien arbeitete. Also konnte Craig durchaus in Frans Haus wohnen.
Aber dann schlug Cooper die letzte Seite von Craig Oxleys Vorstrafenregister auf. Craig wohnte demzufolge nicht in Frans Haus, sondern in Lancashire. Für seine letzte Straftat war er nach Hindley geschickt worden, in eine Anstalt für jugendliche Straftäter.
Cooper wollte versuchen, sich Einblick in die Schulakten der Oxleys zu beschaffen. Natürlich konnte er nicht einmal sicher sein, dass es alles Lucas’ Kinder waren. Aber eines wusste er genau – für die Oxley-Jungen bedeutete Schule soziale Isolation. Nur zu Hause in Withens waren sie unter ihresgleichen.
Inspector Hitchens steckte den Kopf durch die Tür des Büros und holte Cooper von seinen Berichten fort. Coopers Laune hatte sich bereits verdüstert, nachdem er das über die ASBO und Craig Oxley gelesen hatte. Und Hitchens Auftauchen verhieß auch nichts Gutes.
»Wir haben einen von Neil Grangers Komplizen, einen gewissen David Senior, aufgetrieben«, sagte Hitchens. »Er scheint den engsten Kontakt zu Granger gehabt zu haben und ist Freitagabend, wenige Stunden bevor Granger getötet wurde, in der Nähe seines Hauses gesehen worden.«
»Werden wir ihn vernehmen, Sir?«
»Nein, wir lassen ihn noch ein wenig schmoren. Er wartet gerade auf seinen Pflichtverteidiger. Aber interessanterweise hatten wir einen Anruf von Grangers Bruder, der mit uns sprechen will.«
»Glauben Sie, er hat Informationen über diesen Senior?«
»Scheint mir so. Ich wittere einen Durchbruch. Sie kennen doch Philip Granger, Ben, oder?«
»Ja, Sir.«
»Dann gehen wir und hören uns an, was er zu sagen hat.«
Philip Granger sah etwas besser aus als beim letzten Mal, als Cooper ihn gesehen hatte.Vielleicht war der anfängliche Schock abgeklungen, und er entsann sich wieder der Informationen, die ihnen nützlich sein konnten. Für die Verwandten war es eine seltsame Zeit nach einem gewaltsamen Todesfall. Erst wenn Mordanklage erhoben wurde, aber frühestens nach achtundzwanzig Tagen, würde Neil Grangers Leiche zur Beerdigung freigegeben werden. Sein Bruder musste also eventuell bis zu einem Monat warten, ehe er anfangen konnte, die Angelegenheit hinter sich zu bringen.
»Ich habe gehört, Sie haben David Senior verhaftet«, sagte er.
»Nein. Im Augenblick hilft er uns aus freien Stücken«, erwiderte Hitchens.
Granger nickte. »Gut. Aber ich denke, es gibt da etwas, das Sie noch nicht wissen.«
»Und was wäre das, Sir?«
»Neil war schwul.«
Hitchens zuckte die Schultern. »Und?«
Granger wirkte überrascht angesichts der Reaktion des Inspectors und schien im ersten Moment nicht zu wissen, was er noch sagen sollte. Auch Cooper war überrascht, bemühte sich aber, es sich nicht anmerken zu lassen.
»Neil hat es nicht an die große Glocke gehängt«, sagte Granger. »Trotzdem haben ihn ein paar unserer Cousins nach Strich und Faden verprügelt. Das war einer der Gründe, warum er so scharf darauf war, von Withens wegzuziehen, wissen Sie. Ich dachte, das macht vielleicht was aus – dass Neil schwul war, meine ich.«
»Für uns ändert sich deswegen gar nichts, Sir«, erklärte Hitchens. »Heutzutage bemühen wir uns, jeden gleich zu behandeln, ungeachtet seiner ethnischen Herkunft, seiner religiösen Überzeugungen, seines Geschlechts oder seiner sexuellen Orientierung.«
»Aha.«
Philip Granger mochte diese Formulierungen das erste Mal gehört haben, aber Cooper kamen sie sehr bekannt vor. Er war sich sogar ziemlich sicher, sie irgendwo in der Dienststelle an einem
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