Die einsamen Toten
ist?«
»Reiner Zufall. Am wahrscheinlichsten ist noch, dass jemand ihre Tasche gefunden und geglaubt hat, da könnte was Wertvolles drin sein. Als derjenige merkte, dass er einen Fehlgriff getan hat, hat er sie weggeworfen. Zuvor könnte die Tasche überall gelegen haben. Das Labor wird uns vielleicht Genaueres sagen können, aber nur, wenn wir Glück haben. Wenn irgend so ein armer kleiner Dieb mit Vorstrafen seine Fingerabdrücke darauf hinterlassen hat, wird er nicht viel zu lachen haben, sicher nicht. Aber mehr als die ursprüngliche Stelle, an der das Handy gelegen hat, werden wir wahrscheinlich nicht erfahren.«
»Emmas Leiche könnte durchaus in der Nähe sein«, sagte Cooper.
Fry schwieg einen Moment. Er wusste, dass sie diese Tatsache nicht außer Acht gelassen hatte, dass sie es im Augenblick aber vorzog, nicht daran zu denken. »Darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist«, sagte sie. »Gibt es sonst noch was, Ben? Gavin würde nämlich gern mit seinen Befragungen weitermachen.
Du kennst ihn doch und weißt, mit welcher Hingabe er seinen Job ausübt.«
»Diane, ich habe noch eine Chance bei den Oxleys, und zwar heute Abend, wenn ich mit Fran rede. Aber wenn ich morgen immer noch nicht weitergekommen bin, hilfst du mir dann?«
»Ja.«
»Wenn ich mich nämlich noch öfter dort blicken lasse, hängen sie mir eine Klage wegen Belästigung an. Meine Chancen schwinden zusehends. Wir haben keinen Grund, sie zu einer Vernehmung einzubestellen.«
»Ja, ich werde dir helfen.«
»Tatsächlich?«
»Ja, das sagte ich doch, oder? Sprich mich morgen noch mal darauf an. Ich freue mich schon auf einen Besuch bei den Oxleys.«
Ben Cooper stand vor der Waterloo Terrace und betrachtete die schwarzen Backsteinhäuser. Was ging hinter den Türen der Nummern eins bis fünf vor sich? Wie viele der Oxleys waren hier und nicht in dem Zimmer über dem Pub? Wussten sie, dass er hier draußen war, oder war ihnen das egal, da sie so sehr mit ihrem eigenen kleinen Leben zu tun hatten? Es war nicht nur Mrs Wallwin, die isoliert in der Waterloo Terrace lebte. Aber was war der Unterschied zwischen den Oxleys, die gemeinsam einer Welt die Stirn boten, die sie nicht wollte, und Mrs Wallwin, die allein in einer Welt lebte, der sie egal war? Der Unterschied war der, dass die Oxleys zumindest einander hatten.
Cooper hielt bei dem Gedanken inne. Er hatte die Geschlossenheit der Oxleys als selbstverständlich erachtet. Jahrelang hatte man ihm beigebracht, nichts vorauszusetzen, aber die Oxleys hatten ihm quasi die falsche Antwort aufgedrängt. Hatten sie wirklich einander? Oder war das nur eine Fassade, die sie der Welt präsentierten?Wer, außer der Familie selbst, konnte wissen, was hinter den Mauern der Waterloo Terrace vor sich ging?
Er glaubte nicht, dass Mrs Wallwin verdächtig war. Sie war auch nicht bösartig oder unfreundlich. Aber sie war auch keine Oxley.
War es möglich, dass die Familie Oxley sich vor ihr fürchtete und es für nötig hielt, sie auf Abstand zu halten und ihr Territorium vor ihr zu verteidigen? Mrs Wallwin wirkte nicht wie ein Eindringling. Aber für die Oxleys war sie eine Fremde in ihrer Mitte und damit eine Bedrohung, die einer Belagerung gleichkam. Mrs Wallwin, das trojanische Pferd.
Da fiel Cooper ein, dass Mrs Wallwin ihren Sohn erwähnt hatte, der für die Wasserwerke arbeitete. War es möglich, dass das Unternehmen sie als Spionin in dem Haus in der Waterloo Terrace platziert hatte? Hatten die Oxleys Recht, ihr gegenüber misstrauisch zu sein?
Cooper zögerte, ehe er durch das Gartentor trat. Er hatte den lautlosen Schäferhund nicht vergessen. Ein gepanzerter Schutzanzug wäre nicht schlecht gewesen, dazu Handschuhe und einen Helm, vielleicht sogar einen feuerfesten Overall, Stiefel und Schienbeinschützer, wie sie die Eliteeinheiten bei Demonstrationen trugen. Aber er hatte nichts, um sich zu schützen. Schließlich trat er schulterzuckend auf den Weg und klingelte bei Nummer fünf. Es war kein Bellen oder Knurren zu hören, auch kein Scharren von Krallen auf den Fliesen hinter der Tür. Nur das Klingeln, das eher ein Summen war. Wieder klingelte er und wartete. Nichts.
Resigniert probierte Cooper es erneut.War das jetzt das fünfte oder sechste Mal in wenigen Tagen? Er lauschte dem Klingelton, der heute etwas anders klang. Irgendwie klarer. Vielleicht hatte Fran Oxley die Spinnweben von dem Kasten entfernt. Wieder bekam er keine Antwort. Also klopfte er an der Tür, und zwar
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