Die einsamen Toten
halten sich an Ihre Freunde und ich mich an die meinen.«
Das, was er in Händen hielt, war eine Sterbeurkunde, die das Ableben von Angela Jane Fry in Chapeltown, Sheffield, im Alter von dreißig Jahren bescheinigte. Das Datum war über ein Jahr alt.
»Und vermutlich ist das auch nicht Ihre richtige Adresse«, sagte Cooper.
Angie lachte. »Das ist nicht einmal mehr mein Name. Den habe ich schon vor längerer Zeit geändert.«
»Diane würde schnurstracks zu dieser Adresse gehen und Nachforschungen anstellen.«
Sie zuckte die Schultern. »Da kann ich ihr nur Glück wünschen. Das Haus war mal besetzt gewesen, aber die Eigentümer haben die Leute schon vor Monaten an die Luft gesetzt.«
»Ich verstehe nicht, warum Sie das tun.«
»Was ich so von Diane höre, kann sie sehr hartnäckig sein. Sie braucht das hier, damit sie aufhört. Sie muss was Überzeugendes in Händen halten.«
»Woher haben Sie denn das über Diane gehört?«
»Sie ist ziemlich aktiv in Sheffield, glauben Sie mir. Sie geht einigen Leuten ganz schön auf die Nerven, die das gar nicht mögen.«
Cooper nickte. Ausnahmsweise glaubte er ihr.
»Sie macht mir das Leben schwer«, sagte Angie. »Und einigen meiner Freunde auch. Ich muss sie stoppen.«
»Welche Freunde? Jemand, den ich kenne?«
»Scheint mir nicht sehr wahrscheinlich, oder?«
»Nun, irgendjemand hat Ihnen von mir erzählt und auch, wie Sie mich finden können.«
»Wie ich schon sagte, jeder kennt Sie, Ben. Sie werden damit leben müssen.«
»Denken Sie, es gelingt mir nicht, herauszufinden, wer das war?«
»Ist das so wichtig?«, fragte Angie.
»Ja, eigentlich schon.«
Sie zuckte die Schultern, trank einen Schluck von ihrem Tonicwasser und zog ein Gesicht. Dann tat sie so, als würde sie sich für das Footballspiel im Fernsehen interessieren.
»Wer spielt denn heute?«
»Wie ich es mir dachte«, sagte Cooper.
Leider hatte Angie Recht. Es gab zu viele mögliche Quellen, die ihr die Informationen über ihn gegeben haben konnten. Zu beiden Seiten des Gesetzes.Trotzdem reizte es ihn, das herauszufinden. Nur zu gern hätte er jemandem dafür in den Hintern getreten, seine Adresse herausgerückt zu haben.
Cooper betrachtete die Sterbeurkunde, eine sehr gute Fälschung, die ihn sicherlich auch überzeugt hätte. Angie musste über recht interessante Kontakte verfügen. Merkwürdig an der
Sache war nur, dass sie trotz ihrer Beteuerung, Diane stoppen zu wollen, erstaunlich viele Fragen über ihre Schwester stellte. Cooper konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie zwar alles über Diane wissen wollte, aber nicht von ihr. Trotz ihrer forschen Art fürchtete sie sich davor, ihrer kleinen Schwester gegenüberzutreten.
»Ich weiß, ich gehe ein großes Risiko ein, wenn ich Ihnen vertraue«, sagte Angie. »Aber ich weiß auch, dass Sie ihr Freund sind. Ist Ihnen klar, wie selten so etwas ist? Ich konnte keine anderen Freunde finden. Aber ich vertraue Ihnen. Wenn Sie das nicht für mich tun, dann lassen Sie nicht mich im Stich sondern Diane. Sie muss dieses Kapitel ihres Lebens endlich abschließen. Das ist nur zu ihrem eigenen Besten. Und ich denke, das wissen Sie auch, Ben.«
Cooper sah in Angies Augen, die ihm verwirrend vertraut vorkamen. Es waren dieselben Augen, die ihn anblickten, wenn Diane wütend auf ihn war. Aber sie waren zu ähnlich, eigentlich hätten sie sich stärker von denen Dianes unterscheiden sollen. Cooper hatte genügend Fixer in Edendale gesehen, und die hatten leere Gesichter, verfärbte Zähne und waren abgemagert bis auf die Knochen. In der Cavendish-Wohnsiedlung gab es eine Ecke, da trafen sich jeden Abend die Kids, um sich einen Schuss zu setzen, und jeden Morgen kamen die Gemeindearbeiter und sammelten die Spritzen auf. Diese Fixer hatten tote Augen, völlig anders als die hier.
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte er. »Aber mehr kann ich nicht versprechen.«
»Cool. Danke für den Drink.«
Cooper wartete, bis Angie das Hanging Gate verlassen hatte. Er sah, wie sie am Fenster der Kneipe vorbei und Richtung Marktplatz ging. Dann schob er sein Buch in die Tasche, nickte dem Wirt zu und trat vor die Tür. Auf der Stufe blieb er stehen, die Hand am Kopf, als wollte er seine Haare richten. Dabei sah
er gerade noch, wie Angie Fry in der High Street verschwand. Der Art, wie sie sich bewegte, konnte er entnehmen, dass sie nicht damit rechnete, verfolgt zu werden. Ihr Vertrauen in ihn war vielleicht doch nicht ganz gerechtfertigt.
Cooper
Weitere Kostenlose Bücher