Die einsamen Toten
entdeckte eine Mütze in seiner Tasche und setzte sie auf, als er die Straße überquerte und in dieselbe Richtung ging wie Angie. Als er um die Ecke zur High Street bog, blieb er stehen.
Ein paar hundert Meter weiter vorne waren am Straßenrand eine Reihe Autos geparkt, dicht an der Vorderfront des alten technischen Instituts, das in Büros umgewandelt worden war. In einem der Wagen gingen die Scheinwerfer an, als Angie sich ihm näherte. Sie öffnete die Beifahrertür und stieg ein. Cooper blieb hinter dem letzten Wagen in der Reihe stehen, bückte sich und tat so, als würde er, auf die Stoßstange gestützt, seine Schnürsenkel binden. Er konnte deutlich sehen, wie der Wagen rangierte und aus der Parklücke fuhr. Es war ein dunkelblauer BMW, und während er sich in den Verkehr einfädelte, konnte Cooper auch noch das Nummernschild erkennen.
Er tastete seine Taschen nach Notizblock und Stift ab und kritzelte die Nummer im Schein einer Straßenlaterne auf das Papier. Dann holte er sein Handy heraus, rief im Überwachungsraum in der West Street an und bat um eine Kennzeichenüberprüfung durch den Polizeicomputer.
»Tut mir Leid, Detective Constable Cooper«, sagte der Beamte am Telefon. »Ich kann Ihnen keine Information geben. Das ist eine gesperrte Nummer.«
»Sind Sie sicher?«
»Ziemlich sicher.«
Eine gesperrte Nummer? Cooper war noch nie eine untergekommen, nicht in zehn Jahren Polizeidienst.
»Trotzdem danke.«
So viel war sicher, Kriminelle und Drogenabhängige besaßen keine dunkelblauen BMWs mit gesperrten Nummern.
Dieses Privileg genossen nur Fahrzeuge, deren Halter unter offiziellem Schutz standen. Ermittler in angreifbaren Positionen wie Vertreter des Sozialamts, aber in erster Linie Polizeibeamte, die in heikle Operationen verstrickt waren. Wo hatte Diane Fry ihre Nase hineingesteckt?
Ben Cooper kehrte zu seiner Wohnung zurück, ging aber nicht ins Haus. Stattdessen schloss er seinen eigenen Wagen auf und fuhr auf der Castleton Road stadtauswärts, bis er die Straße fand, wo Diane Fry wohnte. Ein paar Minuten später blickte er zum Fenster ihrer Wohnung hoch. Es war ein Studentenviertel, und die Häuser waren in so viele Apartments und Zimmer umgewandelt worden wie möglich und waren vermutlich dementsprechend einfach im Standard. Aber Fry verdiente mittlerweile das Gehalt eines Sergeants. Sie hätte sich doch sicher etwas Besseres leisten können. Auch der Peugeot, den sie fuhr, war nichts Besonderes. Und soweit er wusste, verbrachte sie ihren Urlaub auch nicht in exotischen Ländern. Wofür konnte sie ihr Geld sonst noch ausgeben? Gab es etwas in ihrem Leben, von dem er nichts wusste?
Natürlich wusste er viele Dinge nicht.Wäre es gut für Diane, wenn sie Angie finden würde? Wanderte ihr Gehalt womöglich in ihre Suche nach Angie? Und dann kam ihm der Gedanke, dass Heroinsucht eine teure Gewohnheit war.
Cooper hatte eigentlich an der Tür klingeln wollen, aber aus irgendeinem Grund brachte er es nicht über sich. Er war erst ein Mal in Frys Wohnung gewesen und hatte nur noch vage Erinnerungen daran. Er wusste noch, dass er nicht willkommen gewesen war. Er war nicht überzeugt, dass er jetzt willkommen wäre.
Cooper musste an Ruby Wallwin denken. Wenn man lange allein lebt, wird man zu einem Einsiedler und die Außenwelt zu einer Bedrohung. Man hört Schritte draußen auf dem Korridor und hofft, dass sie vorübergehen. Und wenn sie vorübergehen,
sieht man darin ein Zeichen, dass die Welt einen ablehnt und nicht mehr haben will. Auf diese Weise stellt man sich selbst in eine Ecke und baut eine Grenze auf, welche die Welt niemals mehr überschreiten kann. Und dann rüstet man sich für die Belagerung.
War es das, was sie brauchte? War das die große Enttäuschung, die ihr ihre Probleme eingebracht hatte? Aber würde sie wegziehen, wenn er die beiden zusammenbrächte? Diane hatte ihm einmal erklärt, dass das der Grund gewesen sei, weshalb sie nach Derbyshire gekommen war.
Und außerdem, warum sollte er sich das Leben noch länger schwer machen? Er sollte lieber nach Hause fahren und das alles vergessen.
Cooper wendete den Wagen, schaltete das Radio an und fuhr zurück nach Edendale. Falls sich die Vorhänge in dem Fenster im ersten Stock kurz bewegt haben sollten, hatte er es nicht bemerkt.
31
Freitag
B en Cooper döste nur, als am nächsten Morgen sein Wecker ertönte. Er hatte überhaupt nicht richtig geschlafen, sondern sich die ganze Nacht ruhelos im Bett hin
Weitere Kostenlose Bücher