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Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Booth
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Gelegenheit.«
    »Mist.«

    Diane Fry verharrte reglos, als das Tier auf sie zukam. Es schwankte, und sie konnte daraus unmöglich Schlüsse ziehen, in welche Richtung sie ausweichen sollte. Das Vieh schlingerte von einer Seite auf die andere, als es mit gesenktem Kopf und schnappendem Maul über die Pflastersteine taumelte. An seinem Hals flatterten rote und gelbe Bänder. Es stürzte sich auf ein kleines Mädchen, das zurückschreckte und sich die Hand vor die Augen hielt. Als das Tier nur noch einen knappen Meter entfernt war, schoss es auf Fry zu, das rote Maul weit aufgerissen.
    Fry streckte die Hand aus und klopfte auf seine Schnauze, die hohl und hölzern klang. Durch die Kiefer starrte sie von unten her ein Augenpaar an. Fry sah Schweiß auf einer Stirn glitzern, und eine Bierfahne schlug ihr entgegen.
    »Entschuldigung«, sagte sie, »wir suchen die Border Rats.«
    Eine gedämpfte Stimme, die aus den Tiefen des mit Sackleinen verhüllten Gestells kam, antwortete ihr.
    »Hau ab«, sagte die Stimme. »Siehst du nicht, dass ich zu tun habe?«
    »Wann sind Sie denn hier fertig?«
    »Wenn diese tanzenden Affen müde sind.«
    Das Tier torkelte davon, erschreckte mit halbherzigem Gebrüll ein paar weibliche Teenager und kehrte schwankend zu der Gruppe Moriskentänzer zurück.
    »Hast du eigentlich mal Mr Fox gesehen?«, fragte Gavin Murfin.
    Diane Fry schaute dem mannsgroßen Steckenpferd nach.
    »Wen?«
    »Das ist eine Gruppe aus Langsett, liegt gleich über dem Berg hinter Withens. Ich habe sie vor zwei Jahren gesehen.«
    »Zwei Jahre? Echtzeit oder Renshaw-Zeit?«, fragte Fry zerstreut.
    »Sie tragen alle Umhänge mit Kapuzen und Fuchsmasken und treten nur nachts auf«, erklärte Murfin. »Und das Ganze
im Schein richtiger, echter Fackeln und nicht irgendwelcher neumodischer Taschenlampen. Man weiß vorher nie, wo sie auftauchen.«
    »Fuchsmasken? Wenn die hier auftauchen, gebe ich sie zur Jagd frei.«
    »Ist die Fuchsjagd nicht seit neuestem verboten?«
    »Das ist mir so was von egal.«
    Eine Gruppe namens Betty Lupton’s Ladle Laikers machte sich für ihre Aufführung auf dem Marktplatz bereit, während die Tänzer der Norwich Shitwitches zusahen. Vor dem Red Lion, wo Boggart’s Breakfast und Treacle Eater sich eine Bierpause leisteten, konnte Fry noch mehr Bänder und Schellen erkennen.
    »Als wir noch jung waren, hat unser Dad uns immer erzählt, dass die Moriskentänzer schuld an der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten sind.«
    »Wieso?«, fragte Fry.
    »Ach, wir haben ihm das nie geglaubt. Wir wussten ja, dass man sich nur was einfing, wenn man keinen drüberzog, wenn man mit einer Braut zu Gange war. Uns war nie klar, was das mit Glöckchen und bunten Tüchern zu tun haben sollte.«
    »Wie alt warst du damals, Gavin? Zweiunddreißig?«
    »Bitte. Ich war sehr reif für mein Alter. Ich hatte meine erste richtige Freundin mit vierzehn.«
    »Ich glaube, mehr will ich gar nicht wissen.«
    »Sharon war zwei Jahre älter als ich. Sie arbeitete an der Kasse bei Tesco’s und hatte kräftige Finger. Außerdem hat sie immer umsonst was zu essen bekommen, das Zeug, das sonst ausgemustert worden wäre, weil das Verfallsdatum abgelaufen war. Das Blöde war nur, dass sie die letzte Konsequenz scheute. Sie hatte panische Angst davor, schwanger zu werden, so wie ein paar Mädels bei ihr in der Schule.«
    »Ich wusste gar nicht, dass es in Edendale einen Tesco’s gibt.«

    »Nicht mehr. Die mussten auch ausziehen«, erwiderte Murfin betrübt.
    Sie hatten ihren Wagen halb auf dem Bürgersteig geparkt und dabei einen gelben Parkverbotspylon ein Stück beiseite geschoben. Das Zentrum von Edendale war gesteckt voll mit Autos.
    »Auf jeden Fall hat unser Dad uns lauter solche Sachen erzählt«, fuhr Murfin fort. »Ich schätze, er wollte damit ausdrücken, dass Moriskentänzer warme Brüder waren. Heute macht er sie wahrscheinlich für Aids verantwortlich.«
    Fry sperrte den Wagen ab und warf ihrem Kollegen einen fragenden Blick zu. »Kommst du oder willst du weiter in Erinnerungen an deine entschwundene Kindheit schwelgen?«
    »Diese Moriskentänzer«, sagte Murfin. »Ich vermute mal, dass die gar nicht schwul sind. Die meisten von ihnen haben doch sogar Bärte, oder?«
    »Keine Ahnung.«
    Mittlerweile zeigte sich die Sonne. Das hieß, dass die Leute in Scharen in die Gartencenter und Baumschulen strömen und Freilandpflanzen kaufen würden, die der erste Frost innerhalb einer Woche dahingerafft haben würde. Auf dem

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