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Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Booth
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Zeitungsartikel ausgeschnitten und bewahrte ihn noch immer irgendwo in einer Schublade auf. Er war ihr erst vor kurzem wieder aufgefallen.
    »Ich denke, dass du das Gewehr jemandem abgekauft hast, als du am Wochenende in Manchester warst«, sagte Gail. »Ich wusste, dass du was planst.«
    Dearden zuckte die Schultern. »Mag sein.«
    »Und was hast du nun damit vor, Michael?«
    Er sah sie nicht an, sondern starrte aus dem Fenster. »Wenn sie heute Nacht wiederkommen«, sagte er, »bin ich bereit für sie.«
    »Rede kein dummes Zeug.«
    Aber Gail sah, dass seine Hand, die den Schaft der Schrotflinte umklammerte, leicht zitterte. Er war bis zum Äußersten gereizt und stand kurz davor, wirklich eine Dummheit zu begehen.
    »Ich bete zu Gott, dass da keine Kugeln drin sind.«
    »Patronen«, berichtigte er sie. »Die heißen Patronen.«
    In dem Moment klingelte draußen auf dem Gang das Telefon. Michael legte die Schrotflinte beiläufig auf den Küchenstuhl, ehe er hinausging. Gail betrachtete die Waffe zum ersten Mal mit anderen Augen. Sie sah in ihr nicht ein anonymes Symbol von Gewalt, sondern ein schlichtes Arbeitsgerät. Außer in Filmen, wo irgendwelche alten, rotgesichtigen Aristokraten damit herumfuchtelten und auf unschuldige Vögel schossen, hatte sie noch nie zuvor eine Schrotflinte gesehen; vielleicht noch die abgesägte Variante, die Vinnie Jones über der Schulter trug. Sie fragte sich, wie die Flinte zu öffnen war, damit man die Kugeln laden konnte. Nein, die Patronen. Ihrer vagen Vorstellung nach war eine Patrone größer als eine Kugel, war umgeben von einem dicken Metallmantel und mit einer Einkerbung versehen, die aufplatzte, wenn der Schuss losging. War Bleischrot in diesen Patronen? Natürlich, deswegen hieß es ja Schrotflinte.
    Gail hatte einmal bei einem Metzger in Glossop ein paar
Wildenten gekauft und sich über die kleinen schwarzen Kügelchen gewundert, an denen sie sich beim Essen fast die Zähne ausgebissen hätte. Als sie das nächste Mal im Laden war, hatte sie das dem Metzger gegenüber erwähnt, und er hatte sie ausgelacht und gesagt, das sei das Schrot. Sie hatte sich über ihre Unwissenheit geschämt und nicht weiter gefragt. Aber seitdem wusste sie, dass Wildgeflügel auf diese Art erlegt wurde: mit Schrotflinten. Diese winzigen schwarzen Kugeln hüllten den Vogel in eine tödliche Wolke, durchbohrten sein Fleisch und blieben in seinen Muskeln, inneren Organen und vielleicht sogar in seinem Gehirn haften. Ein Schauder lief über ihren Rücken. Wahrscheinlich ein schneller Tod für einen Vogel oder ein kleines Tier. Aber wie wäre die Wirkung auf einen Menschen?
    Gail musterte neugierig die Schrotflinte, die ziemlich alt und fast schon wie eine Antiquität aussah. Sogar sie konnte erkennen, dass es sich um ein handwerklich gut gearbeitetes Stück handelte; der Schaft war aus wertvollem Holz mit dekorativer Maserung und auf Hochglanz poliert. Das Holz wirkte so verlockend und glatt, dass sie es am liebsten gestreichelt hätte. Ihre Finger waren schon auf halbem Weg, ehe sie rasch die Hand wieder zurückzog, als hätte sie etwas Schleimiges damit angefasst. Der Lauf und die mechanischen Teile waren dunkel und mit einem Ölfilm überzogen. Jetzt erst bemerkte Gail, dass sie die Waffe auch roch. Ihr Geruch, eine Mischung aus Öl, Metall und Holzlackierung, hing dunkel, scharf und würzig in der Luft. Auch er hatte zu dem neuen, unsicheren Gefühl beigetragen, das sie in ihrer Küche empfunden hatte. Der Geruch passte so ganz und gar nicht zu dem Aroma der Kräuter auf der Anrichte aus Kiefernholz und dem heimeligen alten Gasherd. Und trotzdem fügte er sich ein.
    Mit bebenden Nasenflügeln nahm Gail die Waffe näher in Augenschein. Sie glaubte zu wissen, dass eine Schrotflinte irgendwo in der Mitte aufging, an einer Art Scharnier hinter dem Doppellauf. Aber sie sah weder einen Hebel noch einen Schalter,
den sie hätte bewegen können, um es zu öffnen. Allein schon die Vorstellung ließ sie erschaudern. Sie würde nicht wagen, das Gewehr anzurühren. Vielleicht war es geladen. Sie würde bestimmt das Falsche tun. Es würde in ihren Händen losgehen, und die Bleiladung würde das Drosselpärchen durchsieben, das draußen im Vogelhäuschen nach Futter pickte. Beinahe hätte sie gelacht. Immerhin eine Möglichkeit, um festzustellen, ob die Waffe geladen war oder nicht.
    Aber eigentlich wünschte sich Gail nichts sehnlicher, als dass Michael zurückkam und die Schrotflinte wegbrachte, weg aus

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