Die einsamen Toten
Feststellung, mit der er jedoch sofort die Richtung vorgab.
»Ja, und ich habe auch nie einen Hehl daraus gemacht«, erwiderte Cooper. »Wie Ihnen sicher bekannt sein dürfte, Mr Oxley, führe ich Ermittlungen in einer Morduntersuchung durch. Es geht um den Mord an Ihrem eigenen Neffen, an Neil Granger.«
»Er war der Sohn des Bruders meiner Frau.«
»Ich weiß.«
»Aber hier weiß keiner etwas darüber. Sie haben Ihre Fragen am falschen Ort gestellt. Das heißt, falls das wirklich der Grund sein sollte, weshalb Sie hier sind.«
»Weshalb sollte ich sonst hier sein?«
»Was weiß ich?«, antwortete Oxley. »Sagen Sie es uns.«
»Ich habe es Ihnen doch eben erklärt.«
In der Waterloo Terrace wurde der Besucher nicht mit Handschlag begrüßt. Und es gab nur wenige Haushalte im ländlichen Derbyshire, wo man Cooper zu dem Zeitpunkt nicht bereits wenigstens eine Tasse Tee angeboten hätte. Es sei denn, er wäre
wirklich mit der Absicht gekommen, einen Verdächtigen zu verhaften. Aber die Oxleys schienen sich automatisch für verdächtig zu halten und benahmen sich dementsprechend. Vielleicht sollte er sie tatsächlich als Verdächtige ansehen, überlegte Cooper. Aber sein Instinkt hatte ihm schon immer zum Gegenteil dessen geraten, was andere getan hätten. Hielten alle anderen die Oxleys für schuldig, suchte er automatisch nach ihrer guten Seite. Aber bei den Oxleys würde er lange suchen müssen.
Der Alte, Eric Oxley, trug unter einer zerknitterten Strickjacke, aber über dem Hemd, gestreifte Hosenträger. Aber nicht die Sorte grellbunter Hosenträger, wie sie in den Achtzigern bei den Senkrechtstartern in der City Mode gewesen waren. Die hier waren schon länger nicht mehr in Mode, und auch ihre Farben waren im Lauf der Jahre verblichen. Außerdem trug er sie nicht als Accessoire; sie dienten wirklich dazu, seine ausgebeulten Hosen zu halten.
Eric versank fast in dem riesigen Ohrensessel, auf dem er saß. Das Möbelstück passte überhaupt nicht zu der übrigen Einrichtung im Wohnzimmer der Oxleys. Zum einen war der Sessel viel älter, und zum anderen passte er farblich weder zu den Laura-Ashley-Mustern noch zu dem Ziegenfellimitat auf dem Boden. Eric und sein Ohrensessel wirkten wie eine Insel des Konservativismus, die drohte, von modischem Tand überschwemmt zu werden.
Cooper fragte sich, wie viele Streitereien es wegen dieses Sessels damals gegeben hatte, als die neuen Möbel gekommen waren. Bestimmt hatte der alte Mann seine dicken Fingernägel in die Armlehnen des Sessels gegraben und sich daran festgehalten, während seine Familie versuchte, ihn davon loszurei ßen. Einen Meter näher zur Zimmermitte hin hätte der Sessel besser mit der übrigen Anordnung der Einrichtung harmoniert. Cooper stellte sich vor, wie Marion Oxley den Sessel jeden Abend wieder dorthin zurückverfrachtete, nachdem der alte Mann ins Bett gegangen war. Wahrscheinlich schob sie ihn
mit dem Fuß hinüber, statt seinen nachgedunkelten, speckigen Bezug anzufassen. Ebenso deutlich konnte er vor sich sehen, wie Eric die Luft durch seine falschen Zähne einsog vor Anstrengung, die es ihn kostete, den Sessel jeden Morgen wieder an seinen Platz vor dem Kamin zu schieben. Territorialfragen waren wichtig, selbst wenn es sich dabei nur um einen alten Ohrensessel neben einem Kamin handelte.
»Wissen Sie, dass die uns draußen haben wollen?«, fragte Lucas.
»Ich dachte, sie reißen nur die leer stehenden Häuser ab«, entgegnete Cooper. »Die sind bestimmt einsturzgefährdet und ein gesundheitliches Risiko.«
Lucas verzog den Mund. »Das ist nur der erste Schritt. Uns wollen sie draußen haben, damit sie die Häuser hier alle verkaufen und jede Menge Kohle machen können. Die denken, wir sind schmutzig. Unsere Häuser sind kein schöner Anblick. Wir sind kein schöner Anblick. Wir passen heutzutage nicht mehr in diese Welt.«
»Genau, die wollen uns loswerden«, bestätigte Eric. »Ich hoffe nur, dass ich vorher den Löffel abgebe.«
Lucas nickte. »Die denken, wir verseuchen das Wasser für die Leute in Manchester – das Wasser, das von den Bergen hier kommt und durch das Aquädukt ins Tal fließt. Ist doch komisch, wenn man sich überlegt, dass unsere Leute es waren, die an der Cholera verreckt sind. Und das kam von dem dreckigen Wasser, das sie ihnen zu trinken gegeben haben. Wir könnten ebenso gut gleich über den Berg da rennen und uns wie eine Herde Lemminge in das Staubecken stürzen. Das würde alle Probleme lösen.«
»Mr
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