Die einsamen Toten
sie in die Enge trieb.
»Kommen Sie jetzt oder nicht?«, sagte Lucas.
»Ja, ich komme schon.«
Im Näherkommen nahm Cooper den Geruch der nassen Ahornblätter und das stechende Aroma des Saftes wahr, der aus den Wunden im Holz rann, welche die Kettensägen gerissen hatten. Aus den Häusern drangen Essensdüfte zu ihm herüber. Trotz der Tageszeit wurden bereits Zwiebeln geröstet.
Doch selbst dieses Aroma wurde von dem völlig deplatzierten Geruch nach sonnengetrockneten Tomaten überlagert. Cooper vermutete, dass die Oxleys ein paar der alten Autoreifen in ihrem Hof verbrannten. Brennender Reifengummi setzte schwefelhaltige Chemikalien frei, die diesen charakteristischen Geruch nach Tomaten erzeugten.
Noch Wochen später hatte Cooper den Geruch der nassen Ahornbäume und der sonnengetrockneten Tomaten in der Nase und das Kreischen der Kettensägen im Ohr, wenn er an Withens dachte.
Er legte die letzten Schritte zu der Häuserreihe zurück und trat unter das Laubdach der Bäume. In dem Moment heulte ein Benzinmotor auf, und ein Ast brach. Irgendwo über ihm in den Zweigen ertönte ein Schrei, und feiner Regen fiel auf ihn herab, warm wie Blut.
Gail Dearden starrte ihren Mann an. Sie zitterte beim Anblick der Schrotflinte, die er noch immer in der Hand hielt. Er war schmutzig, seine Kleidung war in Unordnung, und sein Blick war abwesend. Michael hatte Angst. Und Gail wusste, dass Männer, die Angst hatten, gefährlich waren.
»Wen habe ich erschossen?«, fragte Dearden.
»Du weißt es nicht?«
»Einen der Oxleys. Welcher war es? Sie sind wiedergekommen, um nachzusehen, was für sie noch zu holen ist. Habe ich einen von ihnen verletzt?«
»Die Polizei ist draußen«, sagte Gail.
»Wer hat die Polizei gerufen? Die Oxleys?«
»Nein, Michael, ich habe sie gerufen.«
Jetzt endlich legte Dearden die Waffe nieder. Er lachte leise und schien den Tränen nahe, als er endlich seine Frau ansah.
»Dann sind sie also gekommen?«, sagte er. »Dieses eine Mal sind sie tatsächlich gekommen.«
39
L ucas Oxley blieb während des ganzen Gesprächs mit Cooper stehen. Er wich keinen Schritt von der Tür, was Cooper nicht unbedingt angenehm war, denn er hatte damit gegen die erste Regel verstoßen und die Kontrolle über seine unmittelbare Umgebung verloren, falls es zu einer für ihn bedrohlichen Situation käme. Aber Lucas wirkte im Augenblick alles andere als bedrohlich. Er stand mit dem Rücken zur Tür, so als wollte er jeden daran hindern, hereinzukommen, und nicht versuchen, Cooper im Haus festzuhalten. Er wirkte defensiv, nicht aggressiv.
»Ist Scott unverletzt?«, erkundigte sich Cooper.
»Der kommt wieder in Ordnung. Wie konnte er sich nur so blöd anstellen. Ich habe ihm gesagt, er soll vorsichtiger mit dem Teil umgehen.«
»Ist ja nichts passiert.«
Cooper fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und betrachtete die Ölschlieren auf seiner Handfläche. Der Strahl aus dem Drehblatt der Kettensäge hatte ihn voll im Gesicht getroffen, bevor die Säge vom Baum und fast auf ihn herabgefallen war. Bleich und erschrocken hatte Scott Oxleys Gesicht auf ihn heruntergestarrt. Der Ast, den er gerade bearbeitete, war unversehens gebrochen, woraufhin er instinktiv den Griff der Säge losgelassen hatte, die sich einen knappen Meter vor Cooper in den Weg bohrte, dass der Schlamm nur so spritzte.
»Er hatte sie gerade frisch geölt«, erklärte Lucas. »Der ganze Griff war voller Öl, und er hat sich nicht die Mühe gemacht, das wegzuwischen. Er kann von Glück reden, dass er sich nicht den Hals gebrochen oder seine Hand abgesägt hat.«
»Oder einen anderen erwischt hat«, sagte Cooper.
Das Innere des Hauses Waterloo Terrace Nummer eins hatte ihn überrascht. Es war bemerkenswert sauber und aufgeräumt. Zwei Sofas mit Laura-Ashley-Bezügen nahmen fast das gesamte Wohnzimmer ein, das ohnehin nicht sehr groß war. Vorhänge im passenden Muster und ein Teppich aus Ziegenfellimitat vor dem Kamin charakterisierten weiter die Einrichtung, die eine eindeutig feminine Ausstrahlung hatte. Lucas und Eric Oxley wirkten unbeholfen und völlig deplatziert in dieser Umgebung. Eric hatte abgetragene braune Pantoffeln an den Füßen, während Lucas an der Tür seine Stiefel ausgezogen hatte. Darunter waren Wollsocken zum Vorschein gekommen, die vorne an den Zehen zusammengeknüllt waren.
»Sie haben hier bei uns an alle Türen geklopft und alle möglichen Fragen gestellt«, eröffnete Lucas das Gespräch. Es war eine reine
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