Die einsamen Toten
gibt Kinder, die hocken tagaus, tagein nur im Haus vor ihren Computerspielen und dem Internet. Sie werden fett und kriegen nie Farbe ins Gesicht. Aber meine Jungs sind okay. Trotz allem, was die Leute hier in der Gegend Ihnen erzählt haben mögen.«
Cooper erwiderte nichts. Oder was er den Polizei- und Gerichtsakten entnehmen konnte, dachte er. Ganz zu schweigen vom Schulamt und den Sozialbehörden. Aber was Eltern betraf, konnte kein Kind jemals schlecht sein. Eltern versicherten auch vor Gericht noch lautstark ihre Liebe, selbst wenn der Sprössling lebenslänglich bekommen hatte, weil er eine alte Frau ermordet, ihr Herz herausgeschnitten, verspeist und ihr Blut getrunken hatte.
Aber die jungen Oxleys waren keine Killer. Sie waren einfach nur ein paar Kids, die nicht ins Schema passten.
Cooper bekam nebenbei mit, dass eine Stimme im Funk etwas von einem ernsten Zwischenfall brabbelte, aber das schien die Polizeikräfte in benachbarten South Yorkshire zu betreffen, und so blendete er es sofort wieder aus.
»Wo soll denn das Gespräch stattfinden, Mr Oxley?«, fragte er.
Oxley überlegte einen Moment lang. Cooper sah ihm den inneren Zwiespalt deutlich an. Es hatte den Mann schon eine beträchtliche Anstrengung gekostet, den Weg bis zu Coopers Wagen zurückzulegen. Aber mit dieser Entscheidung überschritt er eine Grenze. Sie fiel ihm nicht leicht.
»Ich schätze«, sagte er, »dass es am besten ist, wenn Sie zu uns nach Hause kommen.«
Ben Cooper war Lucas Oxley bis zum Eingang zur Waterloo Terrace gefolgt, als ihm die ersten Zweifel kamen. Das Getöse schwerer Baumaschinen stammte nicht von der Farm, sondern wurde nach und nach lauter, je weiter sie sich den beiden Häuserreihen näherten. Über das Knattern der Dieselmotoren hinweg konnte Cooper das Kreischen von Kettensägen vernehmen. Aber das schien sich eher bei den Ahorn- und Kastanienbäumen an der Straße abzuspielen.
»Was ist hier eigentlich los?«, wollte Cooper wissen.
Lucas blieb stehen. »Sie sind gekommen«, sagte er, »das ist alles.«
»Wer?«
Cooper spähte den Hang hinunter und versuchte, einen Blick durch den dichten Baumbestand zu werfen. Er konnte einige hellgelbe Baumaschinen erkennen – einen Bulldozer und einen Bagger mit riesigen Stahlschaufeln. Auch noch andere Fahrzeuge befanden sich dort unten auf der Wiese im Anschluss an die Trafalgar Terrace. Diese Wiese hatten er und Fry noch am Tag zuvor zusammen überquert.
»Unsere Vermieter sind angerückt und haben mit dem Abriss begonnen«, erklärte Lucas. »Sagen Sie bloß nicht, dass Sie das überrascht.«
»Mich überrascht? Ich kann es nicht glauben.«
Cooper holte sein Handy aus der Tasche und tippte die Nummer der Peak Water in Glossop ein, ehe ihm einfiel, dass heute Sonntag war. Mit Sicherheit würde J. P. Venables an seinem freien Tag nicht arbeiten. Aber er hatte zum Glück Mr Venables Privatnummer dabei.
»Mr Venables, wieso haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie heute damit beginnen würden, die leer stehenden Häuser in Withens abzureißen?«
»Wir mussten diese Angelegenheit diskret behandeln«, erklärte Venables.
»Verdammt diskret«, meinte Cooper.
»Im Ernst. Es wäre der Situation nicht zuträglich gewesen, wenn die Bewohner der Waterloo Terrace vorzeitig gewarnt worden wären. Wir konnten schlecht vorhersehen, wie sie sich verhalten würden.«
»Aber mir hätten Sie es wenigstens sagen können. Dann wäre uns Zeit geblieben, eine ordnungsgemäße Durchsuchung anzuordnen.«
»Ihnen?«, sagte Venables mit einem unverhohlenen Grinsen in der Stimme. »Einem Freund der Oxleys?«
Lucas Oxley hatte geduldig gewartet, während Cooper telefonierte. Sein höhnischer Gesichtsausdruck und die hochgezogenen Augenbrauen sprachen Bände.
»Eine Durchsuchung?«, fragte er. »Reine Routine«, erwiderte Cooper. »Aber jetzt ist es ohnehin zu spät.«
Lucas ging langsam weiter in Richtung Tor. Die Häuser der Waterloo Terrace hinter den Bäumen sahen schwärzer denn je aus. Im Augenblick war der Lärm der Kettensägen verstummt. Cooper versuchte, die Gestalten zu erspähen, von denen er wusste, dass sie irgendwo im Gebüsch zwischen den Bäumen sitzen mussten. Aber er konnte nur den kleinen Jake erkennen, der hinter der Mauer eines der Abtritthäuschen hervorlinste.
Einen Augenblick lang erwog Cooper die Möglichkeit, dass die Oxleys ihn als Geisel nehmen könnten. Er konnte nicht einschätzen, was sie vorhatten oder wie sie sich verhalten würden, wenn man
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