Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Booth
Vom Netzwerk:
würde sie sich standhaft weigern. Irgendwo musste es doch hier eine geteerte Straße geben.
    Fry kniff die Augen zusammen und sah sich die Karte noch einmal nach Eintragungen an, die sie kannte. Manche Moore trugen Namen wie Dead Edge Flat, Bleakmires und Withens Moss. Schließlich entdeckte sie einen aufgelassenen Eisenbahntunnel, der unter den Bergen verlief. Aber die Moore selbst waren leer.
    Sie musste lachen. Nicht ganz leer. Da waren doch tatsächlich Markierungen zwischen den braunen Höhenlinien und
dem labyrinthhaften System aus Schluchten und Wasserläufen zu sehen. »Hügel« oder »Steinhaufen« stand daneben.
    »Unglaublich«, murmelte sie.
    Aber Murfin lächelte nur wie eine Sphinx.

12
    D as Wohnzimmer der Renshaws war völlig farblos. Nicht ein Möbelstück, Kissen, Vorhang, Teppich oder Nippes war in Rot oder Blau gehalten. Dafür herrschten alle Schattierungen von Braun, Cremefarben und gebrochenem Weiß vor, als wäre mit den Farben auch jedes Leben aus dem Haus gewichen. Diane Fry fragte sich, ob das immer so gewesen war oder ob die Renshaws die Einrichtung ihres Hauses seit Emmas Verschwinden verändert und damit – bewusst oder unbewusst – das Verschwinden jeglicher Farbe aus ihrem Leben hatten demonstrieren wollen.
    Sarah Renshaw führte Fry und Murfin in das Zimmer und bat sie, auf dem Ledersofa Platz zu nehmen. Murfin ließ sich zögernd nieder, bemüht, dem Teddybären nicht zu nahe zu kommen, der am anderen Ende des Sofas gegen die Armstütze gelehnt war. Das Stofftier war ungefähr fünfundvierzig Zentimeter hoch und trug ein rotes Band um den Hals. Seine Augen starrten glasig auf den japanischen Schirm vor dem Kamin, und ein Arm war in die Höhe gereckt, als wollte er eine unsichtbare Tasse Tee in Empfang nehmen.
    Trotz der wenig aufmunternden Atmosphäre in dem Zimmer schien Sarah Renshaw aufzublühen und neue Lebenskraft zu schöpfen, da sie Gelegenheit bekam, über Emma zu reden. Dieser eine Aspekt ihres Lebens schien ihr alles zu bedeuten. Das und die endlose Analyse ihrer Schuldgefühle.
    »Wir fühlen, dass Emma noch immer hier im Haus gegenwärtig ist«, sagte Sarah. »Sie auch?«
    »Nein, tut mir Leid. Aber ich kannte sie ja auch nicht.«
    »Das Haus ist voll mit Dingen, die Emma sehr viel bedeuten.
Ihre Bücher, ihre Zeichnungen, ihre Gedichte. Ihre Geige, ihre Bilder. Und natürlich ihre Teddybären.«
    »Teddybären?«
    »Ja. Emma hat irgendwann angefangen, sie zu sammeln. An ihrem achtzehnten Geburtstag haben wir hier ein großes Fest gefeiert. Es war eine wunderbare Party mit allen ihren Freunden, mit einer Disco und allem Drum und Dran. Das sei der schönste Tag ihres Lebens gewesen, hat Emma gesagt.«
    Sarah Renshaws Stimme erstarb, und ihre Gedanken schienen für einen Moment weit abzuschweifen. Fry konnte beinahe die kleine schwarze Faust sehen, mit der die Wirklichkeit versuchte, in diesen paar Sekunden ihre Gedankenblase zu durchschlagen, auf die Membran einhämmernd, ohne eindringen zu können. Fry spürte einen Kloß im Hals und einen kurzen Schmerz genau an der Stelle, an der der Chirurg einen kleinen, fleischigen Wulst hinterlassen hatte, als er ihr vor Jahren die Mandeln entfernte.
    Aber dann erholte Sarah sich wieder. Gefasst wie noch kurz zuvor, lächelte sie Fry entschuldigend zu, als wäre ihr nur ein kleiner Fauxpas unterlaufen.
    »Wie ich sagte, hat Emma angefangen, Teddybären zu sammeln«, fuhr sie fort, »und alle möglichen Leute haben ihr zu ihrem Geburtstag einen Teddy für ihre Sammlung mitgebracht. Die meisten davon sind oben in ihrem Zimmer, aber ein paar ihrer Lieblinge haben wir hier bei uns. Edgar war ihr allererster Bär und ist etwas ganz Besonderes. Er war unser Geschenk an Emma. Jetzt sitzt er hier und wartet, dass sie heimkommt.«
    Murfin warf dem Bären auf dem Sofa einen schiefen Blick zu und versuchte, noch ein Stück weiter wegzurücken. Dabei stieß er jedoch gegen Fry, die ihn böse ansah. Sofort rutschte er wieder in die andere Richtung, woraufhin seine Hosen auf dem weichen Leder ein quietschendes Geräusch erzeugten.
    »Wissen Sie«, sagte Sarah, »jeden Morgen, wenn ich aufwache, gibt es einen kurzen Moment, in dem ich wieder ganz die
Alte bin. Das ist ein wunderbarer Augenblick, so wie damals an dem Tag vor zwei Jahren, als Emma nach Hause kommen sollte. Und für kurze Zeit fühlt es sich an, als sei nie irgendetwas schief gelaufen. Ich versuche, diesen Moment festzuhalten und mit in die Welt hinauszunehmen, während ich

Weitere Kostenlose Bücher