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Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Booth
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jungen Mann namens Neil Granger?«
    In dem Moment wurde Mrs Wallwins Gesicht eine Spur weicher.
    »Ja, natürlich. Ich kenne ihn und seinen Bruder. Sie wohnten früher mal hier.«
    »Hier?«, fragte Cooper. »Sie meinen hier, in der Waterloo Terrace?«
    »Gleich nebenan. Ihr Onkel und ihre Tante kümmerten sich um sie, als sie noch Teenager waren. Ihr Vater war im Gefängnis, und sie haben ihn nach seiner Entlassung nie mehr wiedergesehen. Dann erkrankte ihre arme Mutter an Krebs und konnte sich nicht mehr um sie kümmern.«
    »Dann sind also Mr und Mrs Oxley der Onkel und die Tante der beiden Grangers, ja?«
    »Stimmt genau.«
    »Und die zwei haben auch einige Kinder, richtig?«
    »Richtig.«
    »Machen die Ihnen manchmal Ärger, Mrs Wallwin?«
    »Kaum der Rede wert. Manchmal sind sie ein bisschen laut, aber das sind doch alle Kinder.«
    Mrs Wallwin trug abgetragene pinkfarbene Hausschuhe, und ihre Beine waren fürchterlich dünn. Cooper nahm einen muffigen Geruch wahr, wie der von alten Zeitungen oder von Kleidern, die nicht richtig ausgelüftet wurden.
    »Wann haben Sie Neil Granger das letzte Mal gesehen?«, fragte er.
    »Er war erst vor kurzem abends hier.«
    »An welchem Abend?«
    »Es muss Freitag gewesen sein.«
    »Wissen Sie, um wie viel Uhr?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Er ist mit den anderen weg. Mit seinem Onkel und seinen Cousins. Sie sind wahrscheinlich hinauf ins Pub.«

    »Vielen Dank.«
    Hinter Mrs Wallwin konnte Cooper einen kleinen Tisch in der Diele sehen. Darauf lagen ein paar Umschläge, die ihm bekannt vorkamen. »Sie sind ein Gewinner!« – »Eine wunderbare Überraschung wartet auf Sie!« Die üblichen Postwurfsendungen, die sie noch nicht weggeworfen hatte.
    »Aber Neil und Philip wohnen jetzt nicht mehr hier«, wiederholte Mrs Wallwin. »Ihr Haus steht jetzt leer. Ich kann nur hier wohnen, weil mein Sohn für die Gesellschaft arbeitet.«
    »Für welche Gesellschaft?«
    »Für die Wasserwerke.«
    »Leben Sie denn allein, Mrs Wallwin?«, erkundigte sich Udall mit so viel Interesse wie möglich in der Stimme. Aber auch darauf biss die alte Frau nicht an.
    »Wieso fragen Sie?«
    »Es hat in der letzten Zeit hier in der Gegend ein paar Probleme gegeben. In viele Häuser ist eingebrochen worden. Wir möchten uns nur überzeugen, dass Sie hier auch sicher sind.«
    »Ich bin sicher, keine Bange. Hier runter kommt doch niemand.«
    »Niemand?«
    Die alte Dame wirkte plötzlich besorgt, als hätte sie die falsche Antwort gegeben.
    »Mein Sohn besucht mich natürlich«, fuhr sie fort. »Wieso sollte er nicht kommen?«
    »Wichtig ist nur, dass es Ihnen gut geht, meine Liebe«, antwortete Udall beschwichtigend.
    Und dieses Mal schien die Ernsthaftigkeit ihrer Anteilnahme zu verfangen.
    »Ich will hier nicht allein sterben«, ereiferte sich die alte Dame unvermittelt. »Bis mich hier jemand findet, kann es Tage dauern.«
    »Ich bin überzeugt, das wird nicht passieren, Mrs Wallwin. Sie haben doch Nachbarn.«

    »Ja, die habe ich«, sagte sie. »Aber jetzt muss ich mich verabschieden.«
    Und dann machte sie schnell die Tür zu, aber nicht ganz. Cooper bemerkte, dass sie die Kette vorgelegt hatte und sie durch den schmalen Spalt beobachtete, als sie gingen.
    »Sind Sie sich sicher, Ben?«, fragte Udall, als sie am Tor angelangt waren.
    »Worüber?«
    »Ich bin einmal zu einem Einsatz gerufen worden, als ich noch in Chesterfield stationiert war. Eine Mieterin in einem Apartmenthaus hat dem Wohnungsamt gemeldet, sie hätte einen älteren Nachbarn schon eine Weile nicht mehr gesehen. Ich wusste, dass der Mann tot war, noch ehe wir die Tür öffneten. Der Geruch schlug uns schon auf der Treppe entgegen. Dieser Geruch bleibt ewig in der Uniform haften, wenn man sie nicht gleich wäscht.«
    »Ich kenne den Geruch«, erwiderte Cooper.
    »Aber natürlich musste ich den Arzt holen, damit er den Tod bestätigt. Der alte Mann lag auf seinem Bett. Seine Augen waren mit Pilz überwuchert, und um das Bett herum lagen tote Maden. Der Arzt sagte, er sei schon sehr lange tot. Nicht Tage oder Wochen – Monate.«
    »Und es hat so lange gedauert, bis die Nachbarn etwas merkten, sagen Sie?«
    »Es war nicht ihre Schuld. Der alte Mann hatte deutlich zu verstehen gegeben, dass er keinen Kontakt wünschte. Er ging nie an die Tür, auch wenn sie genau wussten, dass er zu Hause war. Sie konnten ihn nämlich durch die dünnen Wände hören, wie er in der Wohnung herumlief. Hin und wieder sahen sie ihn durchs Treppenhaus huschen,

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