Die einsamen Toten
Saumpfad auf die Ruinen der Dorfwirtschaft stoßen. Und in Woodhead gab es ein Haus, das sich direkt über den Eingängen zu den Eisenbahntunnels befand. Jetzt sind nur noch ein paar Quadrat meter Beton davon übrig.«
»Aber warum ist das so?«
»Tja, Ben, wir befinden uns hier in einem Wassereinzugsgebiet. In den Bergen ringsum sammelt sich das Wasser, das die Reservoire unten im Tal speist.«
»Aha.«
»Die Wasserwerke waren der Ansicht, dass die Trinkwasservorräte für ihre Kunden in Manchester und in den Textilstädten von Lancashire verschmutzt werden könnten, wenn in Longdendale Menschen lebten. Also haben sie alle umgesiedelt und ihre Dörfer abgerissen.«
»Einschließlich eines Herrenhauses aus der Zeit der Stuarts«, sagte Cooper. »Aber ich schätze, im neunzehnten Jahrhundert hat man auf solche Dinge keinen großen Wert gelegt.«
Udall lachte. »Von wegen neunzehntes Jahrhundert. Mein Dad kann sich noch an Crowden Hall erinnern. In irgendeiner Schublade hat er sogar noch eine Fotografie. Das Anwesen wurde 1937 von der Manchester Corporation abgerissen.«
»Unfassbar.«
»Ein einziges Pub hat sich bis in die 1960er Jahre halten können. Aber dann musste auch die Kneipe weichen. Und erst vor wenigen Jahren haben die Wasserwerke dreihunderttausend genommen und bei Crowden einen ganzen landwirtschaftlichen Betrieb eine Meile weiter den Berg hinauf umgesiedelt, damit er von der Straße weg war. Als Begründung gaben sie an, sie würden damit die Wasserqualität vor den weidenden Schafen schützen. In dem Fall mussten sie dem Bauern sogar ein neues Haus bauen. Der hatte noch Glück, denn hier haben sich ganze Gemeinden einfach in Luft aufgelöst.«
Cooper warf einen Blick zurück auf die Boote auf dem Torside-Reservoir. Wahrscheinlich war Segeln ein Sport, von dem keine Gefahr für die Wasserqualität ausging.
»Und was ist mit Withens?«, fragte er.
Udall zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Aber es sieht nicht so aus, als würde es sich noch lange halten, wie?«
15
I n Waterloo Terrace Nummer sieben hatte Ruby Wallwin für sich zu Mittag gekocht: geschmortes Rindfleisch mit neuen Kartoffeln und Babykarotten. Aber sie machte keine Anstalten, das Gericht auch zu essen. Sie häufte es auf den Teller und setzte sich an den Tisch, rührte aber nichts an. Stattdessen starrte sie an die Wand und lauschte dem Ticken der Uhr, bis die Essenszeit vorüber war. Dann kippte sie die Mahlzeit in den Mülleimer, schüttete eine halb volle Tasse Tee ins Spülbecken und scheuerte die Töpfe. Das heiße Wasser auf ihren Händen und der frische Zitronenduft des Spülmittels taten ihr gut.
Hinterher schaltete Mrs Wallwin beide Radioapparate und den Fernseher ein. Ein Radio stand in der Küche, eines oben in ihrem Schlafzimmer, während sich der Fernsehapparat im Wohnzimmer befand. Auf diese Weise war in jedem Zimmer etwas los. Sie kannte die Programme nicht, sie kannte nur den Klang der Stimmen. Manche waren ihr im Lauf der Zeit vertraut geworden wie alte Freunde, die sich im Zimmer nebenan unterhielten und nur darauf warteten, dass sie sich zu ihnen gesellte. Aber es gab auch andere Zeiten, und die Stimmen schienen ihre Einsamkeit nur noch schlimmer zu machen. Dann schaltete sie alle Apparate wieder aus, bis sie die Stille nicht länger ertragen konnte.
Wenn sie aus dem Haus ging, ließ Ruby Wallwin immer einige Lichter brennen und einen der Radioapparate im Hintergrund laufen. Nicht um Einbrecher abzuschrecken, sie hatte nichts, das stehlenswert gewesen wäre. Sie tat es, damit es nicht so dunkel und leise war, wenn sie nach Hause kam.
Gestern hatte sie den Morgengottesdienst in St. Asaph besucht.
Ganz allein hatte sie dagesessen, um sich nur gähnend leere Bankreihen. Ein paar wenige Kirchgänger ihres Alters hatten zwar ebenfalls den Weg hierher gefunden, aber Mrs Wallwin lebte noch nicht lange im Dorf und glaubte deshalb, sich nicht unaufgefordert zu ihnen setzen zu können, auch wenn sie von ihnen gegrüßt wurde.
Ruby Wallwin hatte in erster Linie den Pfarrer, Reverend Alton, sprechen wollen. Sie kannte ihn zwar nicht gut, aber er schien ein anständiger Kerl zu sein. Nach dem Gottesdienst hatte sie noch eine Weile herumgetrödelt und gehofft, dass sie ihm auffallen würde. Aber Reverend Alton war offensichtlich sehr zerstreut gewesen und gleich in der Sakristei verschwunden, noch ehe sie seine Aufmerksamkeit erregen konnte.
Mit dem Pfarrer hätte Mrs Wallwin gesprochen, mit der Polizei würde sie
Weitere Kostenlose Bücher