Die Einsamkeit des Barista
Worten, die notwendig waren, um einen Espresso zu bestellen, nicht eine Silbe hinzugefügt, und folglich hatte Del Tacca einen Annäherungsversuch unternommen: »Nun, Signor Notaio, was meinen Sie, was wird der arme Carpanesi jetzt tun?«
Der Notar hatte nicht einmal den Blick von der Zeitung genommen.
»In welcher Angelegenheit?«
»Lieber Gott, wissen Sie denn gar nichts?«
Den Blick immer noch auf die Zeitung geheftet, schüttelte der Notar den Kopf.
»Von der Sache mit dem Carpanesi wissen Sie gar nichts?«, hatte sich Ampelio eingemischt. »Wie kann das denn sein, wo Sie doch auch Kandidat sind? Hat Ihnen wirklich niemand was gesagt? Wen haben Sie denn als Sekretärin, Totò Riina?«
Der Notar zuckte die Achseln und versuchte, dem Senat zu bedeuten, dass ihn die Angelegenheit nicht besonders interessiere.
»Also«, fing Rimediotti an, »es sieht ganz so aus, als hätten der Carpanesi und die Marina Corucci ein Verhältnis und so weiter.«
»Mamma mia, was seid ihr doch für Schwatzbacken«, ging Tiziana dazwischen. »Seht ihr denn nicht, dass das den Signor Notaio überhaupt nicht interessiert?«
»Und das ist nicht richtig«, antwortete Aldo. »Wir sprechen hier von einer möglichen Straftat, begangen von einem seiner politischen Gegner. Wenn der Signor Notaio seine eigene Kandidatur ernst nehmen würde, dann müsste er sich doch dafür interessieren, was seine Gegner so treiben.«
»Ganz im Gegenteil, mein Lieber, ganz im Gegenteil«, antwortete der Notar, während er, immer noch ohne den Blick zu heben, die Zeitung zusammenfaltete. »Das ist genau das, was ein sogenannter moderner Politiker tun würde. Sie machen Politik, indem sie schlecht von den anderen Kandidaten reden. Ich beschäftige mich mit meiner Kandidatur und nur damit. Was die anderen tun, geht mich nichts an.«
»Hallo, hier geht’s um ein Verbrechen!«, rief Ampelio.
»Verbrechen, Verbrechen … das sind große Worte. Wenn es eine Straftat gegeben haben sollte, wird sich die Justiz darum kümmern«, antwortete der Notar, während er zur Kasse ging.
»Ach, wie hübsch, die Justiz! Hier gibt’s ja nicht mal Beweise für irgendwas. Wenn man auf die warten würde, wissen Sie, wie viele Gauner dann noch frei herumlaufen würden?«
»Besser ein Schuldiger, der frei herumläuft, als ein Unschuldiger, der im Gefängnis sitzt, mein Lieber«, erinnerte ihn der Notar, während er bezahlte. »Das ist die Grundlage unseres Rechtssystems. Guten Tag Ihnen allen.«
Und ebenso ruhig, wie er gekommen war, ging er auch wieder.
»Jetzt guck sich nur mal einer den an«, meinte Ampelio. »Kommt rein, hört zu, urteilt und geht. Sieht aus, als wär’ es ihm vollkommen egal, zu sehen, was hier vor sich geht.«
»Vielleicht ist es so«, sagte Massimo.
»Wie auch immer, eines verstehe ich nicht«, sagte Tiziana. »Nehmen wir mal an, dass der Carpanesi und die Corucci tatsächlich ein Verhältnis miteinander hätten. Erklärt ihr mir mal, warum der Carpanesi versuchen sollte, seine Geliebte zu ermorden?«
Für ein paar Sekunden herrschte angestrengtes Schweigen.
»Ich sag’s dir, Tiziana«, unterbrach Del Tacca die Stille. »Weil der Carpanesi ein Feigling ist. Diese Geschichte mit den Wahlen, die haben sie ihm doch quasi auf den Leib geschneidert, der war doch auf der Gemeinde bestens aufgehoben. Dann ist das mit dem Fioramonti passiert, der sich mit den Taschen voller Geld aus dem Staub gemacht hat, und da hat er sich plötzlich mitten in dieser Geschichte wiedergefunden. Der richtige Mann am richtigen Ort.«
»Pilade hat recht«, stimmte Aldo zu. »Dumm wie ein Feldweg, aber ein anständiger Kerl. Oder besser, bekannt als anständiger Kerl. In Augenblicken wie diesen zählt in der Politik Anstand mehr als Kompetenz. Ist ja nicht mehr so wie in den alten Zeiten des Fünfparteienparlaments, wo sie sogar noch bei der Sterbekasse was abgezweigt haben, nach dem Motto ›Bedien dich nur, ich nehm mir auch was‹; inzwischen gibt’s Leute, die wissen, wie man Politik macht. Kannst du dir vorstellen, was losgewesen wäre, wenn rausgekommen wäre, dass er seine Frau betrügt? Nicht mal er selber würde noch für sich stimmen, der arme Mann.«
»Schon möglich«, sagte Tiziana. »Aber dann müsst ihr mir erklären, weshalb das hätte rauskommen können. Warum hätte denn die Corucci ihn und sich selbst beschuldigen sollen, wo sie doch in derselben Partei sind und sie seine Pressesprecherin ist? Das kommt mir nicht besonders logisch vor.«
Schweigen
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