Die Einsamkeit des Barista
Junge!«, brüllte Ampelio.
»Ja bitte?« Massimo riss sich von der Betrachtung des Eises los.
»Einen Campari für Pilade und …«
»… einen Averna für dich.«
»Braves Kind, siehst du, was passiert, wenn du dir nur mal ein bisschen Mühe gibst?«
»Geh nach hinten, Großvater, bitte. Tiziana bringt euch gleich alles.«
Ampelio und die anderen gingen ins Billardzimmer. Tiziana schwieg einen Augenblick, dann fragte sie mit gleichgültiger Miene: »Und warum bringt Tiziana ihnen gleich alles?«
»Weil Massimo gleich Zigaretten holen geht und einen Augenblick der Ruhe außerhalb von hier genießen wird.«
»Chef immer noch stinksauer sein?«
Massimo schüttelte geistesabwesend den Kopf.
»Nein, keine Sorge.«
»Umso besser. Ich muss dich nämlich um einen Gefallen bitten.«
»Das hab ich doch schon mal gehört.«
»Dir habe ich aber schon einen Gefallen getan.«
»Ah, ja. Ich muss zugeben, dass die Rückkehr der geknoteten Bluse mit Anerkennung zur Kenntnis genommen wurde. Beim nächsten Mal würde ich mir wünschen, dass sie auch noch nass ist. Abgesehen von der Tatsache, dass das die Gästezahlen deutlich in die Höhe treiben würde, würdest du damit vielleicht auch noch erreichen, dass meinen Großvater der Schlag trifft, und dann wäre ich wenigstens einen von denen los.«
»Ich mein’s ernst, Massimo.«
Tiziana trat näher an Massimo heran und begann, mit leiser Stimme zu sprechen: »Du weißt doch bestimmt noch, dass ich, bevor ich bei dir angefangen habe, bei meiner Tante gearbeitet habe, oder?«
Massimo nickte. Es stand in ihrem Lebenslauf. Sechs Monate Praktikum direkt nach dem Abschluss der höheren Handelsschule.
»Meine Tante ist die Sekretärin des Notars Aloisi, und vor ein paar Jahren hat sie mich ins Büro des Notars gebeten, damit ich da die Buchhaltung mache.«
Das hatte ich vergessen.
»Nicht, dass es besonders aufregend gewesen wäre, und nicht mal wirklich schwierig. Unter den verschiedenen Aufgaben, die das Sekretariat und die Buchhaltung dort hatten, war ab und zu auch, dass man als Zeuge fungieren musste, wenn die Parteien das verlangten. Ich musste das vielleicht ein- oder zweimal machen. Aber an ein Mal erinnere ich mich ganz besonders.«
Und dann begann Tiziana, zu erzählen.
Das Arbeitszimmer des Notars war wunderschön. In der Mitte ein Klostertisch aus gewachsenem Nussbaum, der auf einem Orientteppich ruhte, der beinahe den gesamten Boden des Raumes bedeckte. Doch das, erkannte Tiziana an Massimos kuhäugigem Blick, war für die Erzählung eigentlich nicht wichtig. Im Arbeitszimmer des Notars befand sich, abgesehen von der Sekretärin, noch ein großer, sonnengebräunter Mann, der den Kopf etwas schief hielt, als sei er ihm zu schwer. Als Tiziana hereingekommen war, hatte er sich mit einer gewissen Anstrengung erhoben, ihr eine schaufelgroße Hand mit dicken Wurstfingern, aber beinahe ohne Fingernägel entgegengestreckt und irgendetwas dahergebrummt. Arbeiterhände, die nicht zu seiner protzigen Kleidung passten: Leinenjacke, maßgeschneidertes Hemd aus Neapel und am Handgelenk eine Reverso, die fünfstellig gekostet haben musste, Kommastellen nicht mitgezählt. Der Mann hatte sich, erneut mit bemerkenswerter Anstrengung, wieder hingesetzt, und der Notar hatte gesagt: »Gut. Die Zeugen sind anwesend, das Dokument ist vorbereitet. Signor Fabbricotti möchte eine Schenkung beurkunden lassen und hat mich beauftragt, alles Nötige in die Wege zu leiten. Im Besonderen hat er mich gebeten, die notwendigen Verträge aufzusetzen, um jeglichen Zweifel an seinen Intentionen auszuschließen.«
Tiziana hatte geschwiegen, den präzisen Anweisungen der Tante Folge leistend (»Sag nichts, wenn du nichts fundamental Wichtiges beizutragen hast. Der Notar ist einer, der das Schweigen liebt.«), während Signor Fabbricotti unkoordiniert und vage mit dem Kopf nickte; so unkoordiniert, dass es auf eine ziemlich schwere neurologische Erkrankung hindeutete.
Der Notar hatte den Vertrag ausgeteilt, eine Kopie für jeden – für Fabbricotti, Tiziana und die Sekretärin –, und dann, nachdem er sich die Brille aufgesetzt hatte, ein Zeugnis jener Fertigkeit geliefert, die die einzige ist, für die Notare allgemein bekannt sind: das ultraschnelle Vorlesen.
»HeutedenneunundzwanzigstenAprilzweitausendundzweiistvormirdemNotarStefanoAloisiHerr
SirioFabbricottierschienengeborenamzwölften
Novemberneunzehnhundertzweiundfünfzigin
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